Vorlesen
Praxis

Anforderungen an die Niederlassung bei Fernbehandlung

17.01.2024 Seite 20
RAE Ausgabe 2/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2024

Seite 20

Nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Hamburg vom 15.12.2022 sieht das Gesetz einen rein „digitalen Praxissitz“ für Ärztinnen und Ärzte nicht vor (Az.3 Bs 78/22). Das Gericht bezieht sich dabei auf die Anforderungen an eine Niederlassung, die der Bundesgerichtshof bereits Ende der 1970er-Jahre aufgestellt hat, als die Möglichkeit einer ausschließlichen Fernbehandlung noch in weiter Ferne lag.

von Katharina Eibl und Dirk Schulenburg

Im vorliegenden Fall wehrte sich eine Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe gegen den Widerruf ihrer Approbation. Sie war bei einer GmbH angestellt, deren Geschäftszweck es unter anderem war, online Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) für Patienten auszustellen. Eigene Praxisräume hatte die Ärztin nicht.
Über die von der GmbH betriebene Internetseite war es möglich, ausschließlich durch Ausfüllen eines Online-Fragebogens eine automatisch generierte AU-Bescheinigung als PDF-Dokument zu erhalten. Die Beteiligung der Ärztin an diesem Geschäft führte nach Auffassung des Gerichts berechtigterweise zum Widerruf der Approbation, da diese über mehrere Jahre hinweg in einem automatisierten Verfahren massenhaft AU-Bescheinigungen gegen Entgelt unter ihrem Namen ausgegeben hatte, ohne mit den betreffenden Personen auch nur rein digital Kontakt gehabt zu haben.

Es besteht ein Niederlassungsgebot

Unter anderem führte das Gericht in seiner Begründung aus, eine rein digitale Praxis sehe das Gesetz nicht vor. Diesem Gedanken stünden § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Heilberufe- und Kammergesetz Hamburg sowie § 17 Abs. 1 Berufsordnung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte entgegen. Diese Vorschriften entsprechen inhaltlich den Vorgaben des § 29 Abs. 2 Heilberufsgesetz NRW (HeilBerG) sowie § 17 der Berufsordnung der Nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (BO).

Danach ist die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit außerhalb von Krankenhäusern einschließlich konzessionierter Privatkliniken an die Niederlassung in einer Praxis (Praxissitz) gebunden, soweit nicht gesetzliche Vorschriften etwas anderes zulassen. Unter „Niederlassung“ von Ärztinnen und Ärzten verstehe man die „öffentlich erkennbare Bereitstellung zur Ausübung des ärztlichen Berufes“ in selbstständiger Praxis. Hinzu komme die Bereitschaft der Ärzte, sich der Allgemeinheit zur ärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stellen. Dies bringe die Verpflichtung mit sich, dass diese ihre Praxen entsprechend der notwendigen personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen einrichteten, die es ihnen ermöglichten, zu jeder Zeit ärztliche Tätigkeit nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst auszuüben, und dass sie ihren Beruf grundsätzlich in oder (bei Hausbesuchen) im Zusammenhang mit ihren Praxen ausübten. Das OVG Hamburg bezieht sich auf die Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1977 (AZ: IV ZR 69/76).

Voraussetzungen der „Onlinepraxis“

Dem Ergebnis des OVG Hamburg kann jedenfalls dann zugestimmt werden, soweit Ärztinnen und Ärzte keinen Ort der Praxisniederlassung haben beziehungsweise ihre Fernbehandlungstätigkeiten nicht an einem fest eingerichteten Niederlassungsort ausüben, sondern zum Beispiel von wechselnden Orten aus. Insoweit steht eine rein virtuelle Praxis, die losgelöst von einem festen Ort der Niederlassung geführt wird, nicht im Einklang mit den berufsrechtlichen Vorschriften der Heilberufe(Kammer)gesetze und den ärztlichen Berufsordnungen.

Folgende Voraussetzungen sind bei Fernbehandlungen zu erfüllen:

  • öffentlich erkennbare ärztliche Berufsausübung in selbstständiger Praxis mit den auf dem Praxisschild notwendigen Angaben,
  • Bereitschaft der Ärztin oder des Arztes, sich der Allgemeinheit zur ärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stellen; bislang nicht gerichtlich geklärt ist, ob es ausreicht, Videosprechstunden anzubieten, die nicht auf einen bestimmten Personen- oder Patientenkreis beschränkt sind, 
  • Einrichtung der Praxis entsprechend den notwendigen personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen für die ärztliche Tätigkeit; bislang nicht geklärt ist, ob dies für Fernbehandlungen (nur) die Verpflichtung beinhaltet, die Praxis so einzurichten, dass die Durchführung von Videosprechstunden sach- und fachgerecht erfolgen kann und ob es einem Arzt erlaubt ist, am Ort seiner Niederlassung ausschließlich Fernbehandlungen, nicht aber Präsenzbehandlungen anzubieten,
  • die Möglichkeit, zu jeder Zeit ärztliche Tätigkeit nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst auszuüben.
Facharztstandard

Soweit Ärztinnen und Ärzte bei Fernbehandlungen den geltenden Facharztstandard einhalten (§ 7 Abs. 4 S. 3 BO) und sie die dazu erforderliche Ausstattung und Vorgaben vorhalten, können die vom BGH aufgestellten Kriterien auch bei grundsätzlich auf Fernbehandlung ausgerichteten Arztpraxen je nach Fachgebiet im Einzelfall eingehalten sein.
Die Ärzte können bei der Behandlung zu der Einschätzung kommen, dass eine unmittelbare ärztliche Untersuchung im Sinne eines persönlichen Arztbesuches angezeigt ist und bei einer ausschließlichen Fernbehandlung die erforderliche ärztliche Sorgfalt nicht gewahrt werden kann. Sie haben die weitere Fernbehandlung dann zu unterbrechen oder abzubrechen und ihre Patienten entsprechend darauf hinzuweisen, dass eine körperliche Untersuchung erforderlich ist. Die Ärzte müssen die notwendigen Untersuchungen veranlassen, indem sie ihre Patienten an einen anderen Arzt oder ein Krankenhaus verweisen, von dem die Untersuchung oder Behandlung vor Ort durchgeführt werden kann, wenn sie selbst hierzu nicht in der Lage sind. 

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.