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Praxis

Leiharbeit in der Pflege

17.01.2024 Seite 21
RAE Ausgabe 2/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2024

Seite 21

Leiharbeit in der Pflege boomt. © drubig-photo/stock.adobe.com
Leiharbeitskräfte kommen zur Abfederung von Arbeitsspitzen, manchmal zeitweise auch in der regulären pflegerischen Versorgung zum Einsatz. Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsumfelds für die Stammbelegschaft könnten einer Zunahme von Leiharbeit in der Pflege wirkungsvoll begegnen. 

von Thomas Gerst

„Krankenpfleger (m/w/d), Verdienst ab 5.600 Euro brutto pro Monat zzgl. Zuschläge, Verpflegungsgeld von bis zu 28 Euro pro Arbeitstag netto, 8.000 Euro Treueprämie langfristig“ – Annoncen wie diese finden sich zahlreich auf den Internetseiten von Zeitarbeitsfirmen. Deren Geschäfte bei der Vermittlung von Leiharbeitskräften im Gesundheitswesen scheinen seit einigen Jahren zu boomen. Im Gegensatz zu Leiharbeitskräften in anderen Branchen nahm die Zahl der Leiharbeitskräfte im Gesundheitswesen in den Jahren 2016 bis 2022 um rund 75 Prozent zu. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren in Deutschland im Jahr 2022 rund 42.000 Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer in der Pflege beschäftigt, 29.000 von diesen im Krankenhaus, mithin etwa zwei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pflege. Nach einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) vom November 2022 hatten 65 Prozent der Krankenhäuser in diesem Jahr Leiharbeitskräfte im Pflegedienst beschäftigt. Aus vielen Krankenhäusern kam die Rückmeldung, dass sie zur Sicherstellung der Versorgung darauf angewiesen seien; gleichzeitig plädierten viele aber für eine stärkere Regulierung oder gar ein Verbot der Leiharbeit. In der DKI-Umfrage gaben die Krankenhäuser an, dass die Personalkosten für Leiharbeitskräfte durchschnittlich um 92 Prozent höher lägen als für vergleichbare festangestellte Mitarbeiter. 

Vor diesem Hintergrund nahm die Diskussion um das Thema „Leiharbeit in der Pflege“ im vergangenen Jahr deutlich an Fahrt auf. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) forderte im Februar 2023 in einem Positionspapier eine drastische Beschränkung der Pflege-Leiharbeit. Die Leiharbeit entwickele sich von der Ausnahme zum Regelfall, die Belegschaften an den Krankenhäusern würden durch Leiharbeit mehr und mehr gespalten, da die Leasingkräfte bei deutlich besserer Vergütung vorzugsweise zu bestimmten Wunschschichten eingesetzt würden, erläuterte dazu der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. rer. pol. Gerald Gaß. Der Einsatz von Leiharbeit solle auf den ursprünglichen Zweck, nämlich Belastungsspitzen auszugleichen, beschränkt werden. Zudem forderte die DKG, den Stundensatz in der Leiharbeit einschließlich aller Kosten auf das 1,5-fache der üblichen Vergütung festangestellter Pflegekräfte zu beschränken. Sollten diese Maßnahmen zu wenig Wirkung entfalten, brachte Gaß als Ultima Ratio ein Verbot der Leiharbeit in der Pflege ins Spiel.

Überbrückung personeller Engpässe

Mittlerweile scheint die Diskussion um die Leiharbeit in etwas ruhigeren Bahnen zu verlaufen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung befassten sich die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages im Juni 2023 mit den verfassungsrechtlichen Aspekten eines Leiharbeitsverbots. In ihrer Ausarbeitung beziehen sie Stellung gegen einen solch weitreichenden Eingriff in die Berufsfreiheit. Die dafür genannten Argumente – insbesondere zu hohe Personalkosten und Qualitätsverlust – würden einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten. In einem Positionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zukunft der Pflege vom Oktober 2023 wird ein Verbot der Leiharbeit gar nicht erst erwähnt. Vielmehr heißt es dort: „Entgegen vielen Behauptungen sind es nicht nur die Gehälter, die zum Personalmangel in der Pflege beitragen, sondern insbesondere die Arbeitsbedingungen.“ So werden in dem Papier eine Reihe von Entlastungsmaßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsumfelds aufgeführt, darunter auch die Etablierung und gesicherte regelhafte Finanzierung von zusätzlichen Kräften in Form von Springerpools, wie dies nun auch seit Jahresbeginn 2024 mit dem von der Ampelkoalition auf den Weg gebrachten Pflegeunterstützungs- und Pflegeentlastungsgesetz vorgesehen ist. 

Dass es nicht allein am Geld liegt, wenn Pflegekräfte in die Leiharbeit wechseln, zeigen auch die 2023 publizierten Ergebnisse einer Umfrage zum „Einfluss der Arbeitsbedingungen und des Gehalts auf die Leiharbeit für Intermediate-Care- und Intensivstationen“ (doi.org/10.1007/s00063-022-00929-1). Die meisten der Befragten gaben an, dass – abgesehen vom Einkommen – auch bessere Arbeitsbedingungen sehr zur Arbeitszufriedenheit und zum Verbleib im Job beitragen würden. Bei der Umfrage wurde aber auch deutlich: Je höher das Nettoeinkommen von Festangestellten, desto geringer ist bei ihnen die Neigung, aus einer Festanstellung im Krankenhaus in die Leiharbeit zu wechseln. 

Fragt man bei Krankenhausstandorten in Nordrhein, wie es dort um das Thema Leiharbeit steht, registriert man keine Alarmstimmung. So setzt beispielsweise das Rheinland Klinikum mit Häusern in Dormagen, Grevenbroich und Neuss Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in der Pflege ein, um personelle Engpässe zu überbrücken. In der Tendenz sei deren Einsatz in der Pflege dort jedoch rückläufig, heißt es aus der Pflegedienstleitung. Es gebe zwar ein Gehaltsgefälle zugunsten der Leiharbeit, gleichzeitig registriere man aber bei der überwiegenden Mehrheit der Pflegekräfte die Präferenz, in festen Teams und in örtlicher Nähe arbeiten zu wollen. Aus diesem Grund seien sogar Pflegende aus der Leiharbeit in die Festanstellung beim Rheinland Klinikum zurückgekehrt. Aus der Uniklinik Köln kommt die Rückmeldung, dass hier im Jahr 2023 circa 3,5 Prozent des Personals in der Pflege über Leiharbeitsfirmen beschäftigt waren, bei einer durchschnittlichen Beschäftigungsdauer von rund sechs Monaten. Zwar gebe es Einzelfälle, wo eine Abwanderung in die Leiharbeit stattfand, gleichzeitig hätten aber auch Leiharbeiter als Stammpersonal gewonnen werden können.