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Medizin aus dem Netz

22.02.2024 Seite 14
RAE Ausgabe 3/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2024

Seite 14

  • Besondere Verantwortung Als Arzt sollte man sich jederzeit seiner besonderen Verantwortung bewusst sein. „You are always a doctor“, ist eine der Kernaussagen im australischen Ratgeber für Ärzte bei Nutzung der sozialen Medien, auf den die Bundesärztekammer verweist. © simon2579/istockphoto.com
  • In ihren Empfehlungen heißt es dazu: „In Wirklichkeit sind Sie, ganz gleich, in welchem Kontext Sie sich bewegen, immer Arzt und müssen sich überlegen, wie Sie sich präsentieren.“ © Aleksei/stock.adobe.com
Immer und überall verfügbar – YouTube, Instagram oder TikTok sind inzwischen für viele Menschen die bevorzugten Informationskanäle. Zu Gesundheitsthemen ist das Angebot dort kaum mehr überschaubar und in der Qualität beurteilbar. In den verschiedenen Formaten wenden sich auch Ärztinnen und Ärzte mit Gesundheitsinformationen an eine mitunter große Schar von Followern. 

von Thomas Gerst

Man findet sie unter „DoktorJulie“, „Kinderleibundseele“, „Medizinmensch“, „doktorsex“, „doc.felix“ und vielen anderen Adressen auf YouTube, Instagram und TikTok – Ärztinnen und Ärzte, oft auch Medizinstudierende, die sich unterschiedlich seriös auf den Online-Plattformen präsentieren und inzwischen ein Millionenpublikum erreichen. Das Spektrum der Medizinangebote ist groß; die einen informieren sachlich, andere wollen in erster Linie unterhaltsam medizinische Inhalte vermitteln, wiederum anderen scheinen die Online-Plattformen zuvorderst die geeigneten Orte der Selbstdarstellung. Für die einen Anbieter ist es ein Geschäftsmodell, mit dem sich über eine große Zahl von Followern ein guter Zuverdienst generieren lässt; bei anderen scheint der Wunsch vorherrschend, ihr medizinisches Wissen mit möglichst vielen Followern zu teilen. Auch bei den Präsentationsformen gibt es deutliche Unterschiede. Während sich auf YouTube die Beiträge oft nicht allzu sehr von den Darstellungsweisen klassischer Fernsehformate unterscheiden, orientieren sich die eher kurzen Angebote auf Instagram und TikTok mit schnellen Schnitten eher an den Sehgewohnheiten einer jüngeren Klientel.

Auf Transparenz in der Darstellung achten

Grundsätzlich sei es eine gute Idee, wenn auch Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Medfluencer die sozialen Netzwerke nutzen, um Informationen zur Gesundheit an ein Publikum zu bringen, das auf anderen Wegen nicht so leicht zu erreichen sei, meint Dr. Amin-Farid Aly, der sich bei der Bundesärztekammer (BÄK) mit dem Thema befasst. So gebe es beispielsweise einen Videokanal mit fast einer Million Followern, auf dem eine Gynäkologin und ein Urologe allgemeinverständlich über Aspekte von Sexualität, Hygiene und Adoleszenz informieren. Allerdings sollten sich Ärzte der Grenzen bewusst sein, die ihnen durch die Berufsordnung und das Heilmittelwerbegesetz bei der Präsentation medizinischer Inhalte in sozialen Medien gesetzt sind, sagt Aly. Um Ärzte für dieses Thema zu sensibilisieren, habe die BÄK ihre Handreichung „Worauf Ärztinnen und Ärzte bei der Nutzung sozialer Medien achten sollten“ entwickelt. 

In der Broschüre werden die Möglichkeiten der neuen Formate zur Aufklärung über medizinische Sachverhalte positiv hervorgehoben. Die Nutzung dieser Plattformen dürfe deshalb keinesfalls unseriösen Akteuren überlassen werden, heißt es in der 2023 aktualisierten Neuauflage. Ärzte, die sich als medizinische Influencer – mittlerweile hat sich dafür der Begriff „Medfluencer“ etabliert – betätigen, sollten auf die notwendige Transparenz in der Darstellung achten, das heißt, sie sollten mit vollem Namen auftreten, ihren medizinischen Hintergrund transparent darstellen und ihre Interessenkonflikte komplett offenlegen. Ärzte unterliegen als Medfluencer nicht nur den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes, sondern auch denen der jeweils gültigen Berufsordnung. Gemäß § 27 Abs. 3 der „Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte“ ist eine anpreisende, irreführende und vergleichende Werbung berufswidrig. Als unzulässig gilt zudem eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der eigenen ärztlichen Tätigkeit. Was bedeutet dies aber konkret in Bezug auf den Arzt, der in einem TikTok-Video Werbung für ein Glucose-Elektrolyt-Präparat macht, die Hautärztin, die auf YouTube die Vorzüge einer Kosmetikreihe preist, den Arzt, der sich auf Instagram als Ernährungsexperte betätigt und dort seine kostenpflichtigen Schulungsvideos bewirbt, oder die Notärztin, die auf ihren Fan-Shop verlinkt? 
Handelt es sich hierbei um Werbung im Zusammenhang mit der eigenen ärztlichen Tätigkeit? Allgemein lasse sich dies nicht von vorneherein entscheiden, heißt es dazu aus der Rechtsabteilung der Ärztekammer Nordrhein, es müsse jeweils der Einzelfall geprüft werden. Unzulässig sei in jedem Fall die reine Produktabsatzwerbung („Ich bin Arzt und empfehle …“), wohingegen man über das eigene Leistungsspektrum zum Beispiel in seiner Praxis in angemessener Form informieren, aber dieses nicht anpreisen dürfe. Das Thema „Medfluencer“ habe bisher unter den Fällen der Rechtsabteilung kaum eine Rolle gespielt; es seien dort erst einige wenige Sachverhalte angezeigt worden. 

Der Medizinrechtler und Arzt Professor Dr. Dr. Alexander Ehlers spricht sich in einem Beitrag in der Medical Tribune für eine strikte Anwendung des § 27 Abs. 3 der (Muster-)Berufsordnung aus, wenn es um ärztliche Influencer geht. Danach ist eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit unzulässig. Dies umfasst nach seiner Einschätzung sämtliche Dienstleistungen und Produkte, die im Zusammenhang mit der Gesundheit eines Menschen stehen. Dazu zählen für Ehlers auch rezeptfreie Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel. Dadurch sieht er die Werbemöglichkeiten für Ärzte als Medfluencer stark beschränkt. 

Einbindung in Marketing-Strategien

Auf die Unsicherheit darüber, was unter den Vorgaben von Berufsordnung und Heilmittelwerbegesetz auf YouTube, Instagram oder TikTok erlaubt ist, reagiert mittlerweile eine Reihe von Anwaltskanzleien mit Beratungsangeboten. Denn die Marke „Arzt“ weckt Begehrlichkeiten bei der Industrie. So kommt etwa der Medizinrechtler Dr. Marius Hossbach in einem Beitrag auf der Homepage der Kanzlei Rose & Partner zu der folgenden Einschätzung: „Der Grundgedanke der bisherigen Regelungen, nämlich das Ansehen des ärztlichen Berufs zu schützen und die Gesundheitspflege von unerwünschter Kommerzialisierung freizuhalten, findet sich derzeit jedenfalls nicht auf TikTok und Co. wieder.“ Wer genau mit welchen Qualifikationen hinter den Accounts auf den Social-Media-Plattformen stecke, bleibe oft intransparent. Vielfach würden ärztliche Medfluencer gegen das sogenannte Fremdwerbeverbot, wonach Ärzte nicht für Produkte, Arzneimittel oder Dritte werben dürfen, verstoßen, schreibt Hossbach. Es sei davon auszugehen, dass medizinische Online-Inhalte in Zukunft genauer reguliert werden. Andere Kanzleien dagegen bieten Unternehmen aus dem Gesundheitssektor sehr viel direkter ihre Dienstleistungen für Marketing über Social Media-Kanäle an. Influencer-Marketing sei das geeignete Mittel, um eine größere Zielgruppe zu erreichen. Allerdings müsse – anders als bei beliebigen Konsumartikeln – sichergestellt werden, dass sich das Medfluencer-Marketing im regulatorischen Rahmen von Heilmittelwerbegesetz und berufsrechtlichen Vorschriften bewegt, heißt es da beispielsweise. Die Kanzleien bieten Schulungen für Unternehmen an, die gewährleisten sollen, dass sich Healthcare-Influencer regelkonform in Marketing-Strategien einbinden lassen. 

Gewerbliche Orientierung unterlassen

Dort, wo ein neuer Markt entsteht, treten rasch auch neue Dienstleister auf den Plan, die sich um die Angebote kümmern und deren Vermarktung übernehmen, so wie die in Hamburg ansässige Agentur MedServation, die eine Reihe von Ärzten, Medizinstudierenden und Vertretern weiterer Heilberufe – nach eigenen Angaben einige der größten deutschsprachigen Medfluencer – im Angebot hat. Deren Einsatz als Medfluencer biete Unternehmen neue Möglichkeiten, „Botschaften rund um das Thema Gesundheit direkt an die Zielgruppe zu kommunizieren und Awareness zu schaffen“, wirbt das Unternehmen. Allerdings seien Ärzte für direkte Werbeansprachen nicht einsetzbar, schränkt die Agentur ein. Hier müssten die geltenden berufsrechtlichen Rahmenbedingungen im Blick gehalten werden. Medizinstudierende könnten jedoch bezüglich möglicher Kooperationen noch sehr viel „freier“ zum Einsatz kommen, da sie noch nicht der Berufsaufsicht der Ärztekammern unterliegen. Seit Mitte 2023 bespielt MedServation unter der Bezeichnung „Health Celerates“ einen YouTube-Kanal mit Hunderten von Medfluencer-Videos rund um das Thema Gesundheit und positioniert sich so auch als Partner für eine Zusammenarbeit mit Industrie, Krankenkassen und medizinischen Berufsverbänden.

Der Umstand, dass Gesundheitsinformationen zunehmend über die Social-Media-Kanäle abgerufen werden, hat dazu geführt, dass mittlerweile auch die großen Krankenkassen, so etwa AOK, Techniker oder Barmer, die Dienste von Medfluencern, die über eine große Follower-Zahl verfügen, in Anspruch nehmen, um über gesunde Lebensführung oder bestimmte Krankheitsbilder zu informieren. Auch die Pharmaindustrie setzt inzwischen auf Awareness-Kampagnen im Internet, die zwar die direkte Produktwerbung vermeiden; stattdessen aber lassen sie Ärzte die Wirkungsweisen bestimmter Wirkstoffe beschreiben oder sorgen dafür, dass für bestimmte Krankheitsbilder, die zu ihrer Produktpalette passen, auf den Online-Plattformen Aufmerksamkeit generiert wird. Auch hier müsse bei Social-Media-Auftritten dafür Sorge getragen werden, dass Ärzte nicht gewerblich orientiert sind, betont Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Berufsordnungsausschusses. „Es muss unser Ziel sein und bleiben, dass der ärztliche Beruf auch in den neuen Medien keinesfalls im Sinne der Industrie zu deren Werbezwecken kommerzialisiert wird. Sonst verspielen wir das Vertrauen in unseren Berufsstand, und sehr schnell kann der Eindruck von Käuflichkeit entstehen.“

Um den Wildwuchs bei den Anbietern von Gesundheitsvideos einzudämmen, hat YouTube im vergangenen Jahr mit YouTube Health ein neues Label eingeführt, das den Nutzern der Plattform anzeigen soll, welche Angebote vertrauenswürdig sind. Um diese Kennzeichnung auf YouTube zu erhalten, müssen Ärzte als Anbieter von Gesundheitsinformationen einen Antrag auf Zertifizierung ihres YouTube-Kanals stellen. Die Überprüfung erfolge auf der Grundlage international anerkannter Leitlinien, teilte das Unternehmen mit. Suchen Nutzer auf YouTube nach Medizininformationen, würden ihnen die unter YouTube Health zertifizierten Ergebnisse bevorzugt angezeigt. Zudem findet sich unter dem jeweiligen Beitrag der Hinweis darauf, dass dieser von einem approbierten Arzt oder von einem anderen medizinischen Fachberuf stammt. Wenn allerdings von YouTube gerade bei Präsentation des neuen Health-Labels die selbsternannten Schmerzspezialisten Liebscher & Bracht, die in der Fachöffentlichkeit sehr kritisch bewertet werden, als eine dort vorzufindende vertrauenswürdige Gesundheitsquelle beispielhaft genannt werden, kommen Zweifel auf, ob es mit der Qualitätssicherung in diesem Bereich wirklich so gut aussieht, wie behauptet wird. Hier scheint doch eher das Bestreben von YouTube im Vordergrund zu stehen, mehr Besucher auf ihre Plattform zu ziehen und so die Werbeeinnahmen in die Höhe zu treiben.  
 

Medical Influencer

„Im Gegensatz zu anderen Formen der wissenschaftlichen Diskussion gibt es bei dieser Form der Kommunikation regelhaft keinen fachlichen Review. Dies führt zu einer vergrößerten Verantwortung, wissenschaftliche Zusammenhänge auch korrekt darzustellen und nicht für eine Meinungsbildung (sei es auch für einen guten Zweck, eine sozial erwünschte Haltung) zu verkürzen oder kritische Aspekte und offene Fragen wegzulassen. …
Bei vielen Plattformen besteht das Problem, dass nicht immer klar ist, welchen Hintergrund der Vortragende hat und ob Interessenkonflikte vorliegen. Der ärztliche Beruf sollte in keinem Fall im Sinne von Produktwerbung kommerzialisiert werden. Nur so kann es langfristig gelingen, das hohe Vertrauensniveau in den medizinischen Berufsstand auch in den sozialen Medien zu halten.“

Quelle: Handreichung der Bundesärztekammer – Ärztinnen und Ärzte in sozialen Medien (www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Digitalisierung/2023-01-19_Handreichung_Aerzte_in_sozialen_Medien.pdf).