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Prävention ausbauen

22.02.2024 Seite 12
RAE Ausgabe 3/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2024

Seite 12

© Red Diamond/istockphoto.com
Mit dem Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) will die Bundesregierung eine zentrale Institution für die Öffentliche Gesundheit schaffen. Deren Fokus soll auf der Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen liegen. Errichtungsbeauftragter der neuen Behörde ist der ehemalige Leiter des Kölner Gesundheitsamtes Dr. Johannes Nießen. Doch das Vorhaben ist unter Public Health-Experten umstritten.

von Heike Korzilius

Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach will Gesundheitsförderung und Prävention auf neue Füße stellen. Deutschland gebe mit 5.000 Euro pro Einwohner und Jahr so viel wie kein anderes EU-Land für Gesundheit aus, sei bei der Lebenserwartung mit 80,8 Jahren aber trotzdem nur Durchschnitt. Es fehle an wirksamer Vorbeugung, das System sei zu stark auf die Behandlung schon bestehender Krankheiten ausgerichtet, sagte der Minister, als er im Oktober 2023 den Aufbau des BIPAM ankündigte und der Öffentlichkeit dessen Errichtungsbeauftragten, Dr. Johannes Nießen, vorstellte. Das Institut soll am 1. Januar 2025 an den Start gehen und sich primär auf die Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten wie zum Beispiel Krebs, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen konzentrieren (siehe Textkasten). Das Robert Koch-Institut (RKI), das bislang als nationales Public Health-Institut fungierte und das Gesundheitsmonitoring unter anderem zu Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Übergewicht und Adipositas oder auch psychischer Gesundheit verantwortete, soll sich dann ganz auf die Abwehr von Infektionskrankheiten fokussieren. 
Obwohl noch kein im Kabinett abgestimmter Gesetzentwurf vorliegt, der die Aufgaben des neuen Instituts im Detail festlegt, hagelte es schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne Kritik von Experten für öffentliche Gesundheit. Zwar betont auch das „Zukunftsforum Public Health“, dem neben zahlreichen Fachgesellschaften und Organisationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit mittelbar über die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung auch die Bundesärztekammer und die Ärztekammer Nordrhein angehören, die Notwendigkeit, Public Health-Aktivitäten besser zu koordinieren. Auf diesem Feld seien 2022 insgesamt 307 Institutionen und Organisationen aktiv gewesen, die Landschaft sei völlig zersplittert. Die Gründung des BIPAM offenbart jedoch nach Ansicht des Zukunftsforums ein überholtes Verständnis von Prävention und Gesundheitsförderung. Diese verenge den Blick auf die Medizin und setze mit ihrem Verständnis von Prävention zu nah am Individuum und zu wenig in den Lebenswelten an, heißt es dort. Außerdem sei die institutionelle Trennung von übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten nicht sinnvoll. Damit schaffe man lediglich ineffiziente Doppelstrukturen und einen höheren Koordinationsaufwand. 

Als notwendigen und richtigen Schritt auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der möglichst alle Menschen die Chance haben, gesund zu werden und gesund zu bleiben, bezeichnet dagegen der Errichtungsbeauftragte des BIPAM die Neugründung. Wie schon im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP festgelegt, sollten mit dem neuen Institut insbesondere die Aktivitäten im Bereich Public Health gebündelt sowie die Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) gefördert werden, erläutert Dr. Johannes Nießen auf Nachfrage des Rheinischen Ärzteblatts (RÄ). Deshalb solle dort künftig auch die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt werden, die bislang von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verantwortet wurde. Diese Behörde wird im BIPAM aufgehen. Nicht nur in Krisenzeiten wie während der Coronapandemie, sondern auch im Alltag sei es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu verständlichen und qualitätsgesicherten Gesundheitsinformationen haben, so Nießen. Das neue Bundesinstitut wolle vor diesem Hintergrund auch den Umgang mit Falschinformationen stärker in den Fokus nehmen.

Ein Schwerpunkt: die Datenanalyse

Grundlage für die Entwicklung und Umsetzung bedarfsgerechter Kommunikations- und Public Health-Aktivitäten sei die Datenanalyse, betont der BIPAM-Errichtungsbeauftragte. „Seine Aufgaben kann das Institut effektiv nur auf Grundlage von Evidenzen erfüllen, mit Daten zu Gesundheitsbedingungen sowie zum Gesundheitszustand und -verhalten der Bevölkerung. Es wird daher als selbstständiges Daten- und Forschungsinstitut errichtet.“ Das ist nicht zuletzt eine Lehre aus der Pandemie, als man in Deutschland zur Einschätzung der Lage häufig auf Daten aus dem Ausland zugreifen musste. Das BIPAM bringt hier nach Ansicht von Nießen die epidemiologische Expertise des RKI mit den Präventions- und Kommunikationsressourcen der BZgA zusammen. 
Die Kritik an der Ausrichtung des Instituts – zu viel Medizin, zu wenig Verhältnisprävention – teilt er nicht. Das BIPAM werde Prävention und Gesundheitsförderung im Sinne von „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikbereichen) sektoren- und akteurübergreifend stärken, so Nießen. Ein entsprechender Passus findet sich auch in einem vorläufigen Gesetzentwurf zur Errichtung des BIPAM aus dem vergangenen Oktober.   
Als ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamts betont Nießen auch die Rolle, die das BIPAM mit Blick auf eine bessere Vernetzung des ÖGD spielen kann. Er will das Institut zu einer Plattform ausbauen, die nicht nur den Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb des ÖGD vorantreibt, sondern auch die Entwicklung von Verfahrensstandards und evidenzbasierten Handlungsempfehlungen. 

Eher ausgewogen fällt die Einschätzung von Rudolf Henke zur neuen Präventionsstrategie der Bundesregierung aus. Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Co-Vorsitzende des Ausschusses „Public Health“ der Bundesärztekammer (BÄK) hält es für nachvollziehbar, dass Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen darin eine große Rolle spielen. „Es gibt Millionen von Betroffenen, deren Behandlung enorme Summen kostet“, so Henke im Gespräch mit dem RÄ. Ein ganzheitlicher präventiver Ansatz müsse aber mehr als die Medizin und die individuelle Verhaltensprävention in den Blick nehmen. Dieser Ansatz brauche Interdisziplinarität, die auch die Verhältnisse und Lebenswelten der Menschen berücksichtige. Beispiel Ernährung und Bewegung: Der Grundstein für gesundheitsförderliches Verhalten werde meist schon in der Kindheit gelegt. Wenn Kinder aber in einem Umfeld aufwachsen, in dem es keine Spielplätze und Grünflächen gebe und in der Chips und Limonade natürliche Begleiter beim Fernsehen seien, werde es für den Einzelnen schwierig. „Gesundheitsförderliches Verhalten ist nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch der Verhältnisse“, sagt Henke. Gefragt seien hier Sozial-, Pflege- und Kommunikationswissenschaftler ebenso wie Pädagogen, Didaktiker oder auch Stadtplaner. Gefragt sei aber auch ein Engagement in allen Feldern der Politik.

Wichtig ist Henke, dass die Rolle von Ärztinnen und Ärzten für Prävention und Gesundheitsförderung nicht unterschätzt wird: „Ohne Medizin kann Public Health nicht funktionieren. Unsere Profession steht dort in besonderer Verantwortung.“ 90 Prozent der Bevölkerung suchten mindestens einmal im Jahr einen Arzt auf. Ein solches Potenzial, Menschen aus allen sozialen Schichten zu erreichen, könne man nicht ungenutzt lassen. Zumal Studien belegten, dass gerade Hausärzte, die ihre Patienten oft schon lange kennen, risikoreiche Verhaltensweisen wie übermäßigen Alkoholkonsum oder Rauchen erkennen und diesen im Rahmen von strukturierten Kurzinterventionen entgegenwirken könnten. 

Henke, der die Genese des Präventionsgesetzes von 2015 eng begleitet hat, hält es nach wie vor für einen Fehler, dass in dessen Präventionsstrategie weder die Gesundheitsberufe noch die Kommunen mit ihrem starken Bezug zu den Lebenswelten institutionell verankert wurden. Zwar habe der Gesetzgeber damals die Mittel für Prävention um fast 500 Millionen Euro aufgestockt und außerdem eine ärztliche Präventionsberatung ermöglicht. Da diese zeitintensive neue Leistung aber nicht gesondert finanziert werde, werde sie auch kaum genutzt. 

Insgesamt stehen bundesweit jedes Jahr rund 700 Millionen Euro für Präventionsleistungen zur Verfügung. Für die kurative Versorgung gäben die gesetzlichen Krankenkassen hingegen 900 Millionen Euro am Tag aus, so Henke. Zwar dürfe man Kuration und Prävention nicht gegeneinander ausspielen, beide Bereiche müssten sich vielmehr ergänzen. „Aber diese Relation kann so nicht richtig sein“, sagt Henke.
 

Das soll das BIPAM leisten

Im Oktober 2023 legte das Bundesgesundheitsministerium einen noch nicht abgestimmten Gesetzentwurf vor, der die künftigen Aufgaben des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) umreißt. Das Institut soll sich danach insbesondere mit vier Themenschwerpunkten beschäftigen:

  • Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung bei nicht übertragbaren Krankheiten; dazu gehört unter anderem die Identifikation von Schwerpunkten für Verhaltens- und Verhältnisprävention
  • Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (Public Health) und Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
  • Risiko-, Krisen- und Gesundheitskommunikation
  • Sammlung und Auswertung von Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung sowie epidemiologische Forschung zu nicht übertragbaren Krankheiten