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Gesundheits- und Sozialpolitik

Angestellt und weiblich – die neue Ärztegeneration

18.07.2025 Seite 18
RAE Ausgabe 8/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2025

Grafik 1 © Äztestatistik 2024 Bundesärztekammer / Illustration: Tina Ennen

Von der Weiterbildung bis hin zu den oberärztlichen Stellenbesetzungen zeigt die diesjährige Ärztestatistik der Bundesärztekammer (BÄK): Die Medizin ist erneut weiblicher geworden. Auf den Spitzenpositionen in Kliniken und Universitäten dominieren hingegen nach wie vor die Männer. Arbeitszeiten und Karrierewege werden offenbar noch immer männlich gedacht.

von Vassiliki Temme

In Nordrhein überholten die berufstätigen Ärztinnen ihre männlichen Kollegen zahlenmäßig bereits 2023. Aktuell sind an Rhein und Ruhr 27.466 Ärztinnen tätig, ein Zuwachs von 2,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ihnen stehen 26.946 Ärzte gegenüber, 0,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor (siehe Grafik 1). Nicht verändert gegenüber 2023 hat sich die Rangliste der Top 5 Gebietsbezeichnungen der Ärztinnen. Hier führen immer noch die Innere Medizin (2.907), die Allgemeinmedizin (2.455), die Gynäkologie (2.105), die Anästhesiologie (1.861) sowie die Pädiatrie (1.506) die Statistik an.
 
Einen Grund für dieses Ranking vermutet die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes und langjähriges Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Christiane Groß, in einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben in diesen Fachgebieten. Nach Ansicht von Groß, selbst Allgemeinärztin mit psychotherapeutischem Schwerpunkt, hat sich die berufliche Situation der Ärztinnen im Laufe der Jahre deutlich verbessert. „Die Frauen haben sich im ärztlichen Beruf etabliert und sind allmählich in die Stellvertreterpositionen vorgedrungen, aber eben noch nicht in die Spitzenpositionen“, meint Groß. Jetzt gehe es darum, auch die Lehrstühle und Klinikdirektionen in angemessener Zahl mit Ärztinnen zu besetzen. Eine der größten Hürden für die Karriere von Frauen in den Institutionen stellten dabei die sehr gut etablierten beruflichen und sozialen Netzwerke der Ärzte dar. „Die Männer vernetzen sich besser und die Strukturen sind von Männern für Männer gemacht“, gibt Groß zu bedenken. Viele Frauen trauten sich dort nicht hinein. „Man muss das auch bewusst abwägen: Tue ich mir diesen Stress und wohlmöglich diesen Frust an oder nicht?“, erläutert Groß.
 

Allein unter Männern?

Ein Fachbereich, der lange als Männerdomäne galt, rückt seit einiger Zeit auf der Beliebtheitsskala der Ärztinnen nach oben: die Chirurgie. Im vergangenen Jahr waren in Nordrhein neben 4.220 Chirurgen 1.449 Chirurginnen tätig, ein Plus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bundesweit waren 10.196 (plus 2,9 Prozent) Ärztinnen chirurgisch tätig und 31.643 Ärzte. „Immer mehr Frauen entscheiden sich für die Chirurgie und etablieren sich auch im Beruf“, sagt Dr. Janina Deyng, Fachärztin für Neurochirurgie und Beisitzerin im Verein „Die Chirurginnen“. Dessen Motto ist Programm: „Gemeinsam einfach besser“. Die im Verein organisierten Chirurginnen legten sehr viel Wert auf Sichtbarkeit und gegenseitige Unterstützung, gerade weil sie in einem Fach mit traditionell männlich geprägten Strukturen tätig seien, erklärt die Oberärztin und zweifache Mutter gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. „Verhaltensweisen und Sprache sind oftmals männlich konnotiert und können dazu führen, dass Frauen die Mitarbeit erschwert wird.“ Entscheidend sei es daher, strukturelle Hürden weiter abzubauen – etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Karriere oder der gezielten Förderung von Frauen in Führungspositionen.
 
Im Verein weiß man, dass sich viele junge Ärztinnen bewusst gegen die Chirurgie entscheiden – nicht, weil sie das Fach nicht interessiert, sondern weil die Rahmenbedingungen abschreckend wirken: Die Arbeitszeiten sind wenig planbar, Teilzeitmodelle werden von Vorgesetzten häufig abgelehnt, die Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Care-Arbeit ist unzureichend und es gibt kaum weibliche Vorbilder. Dazu kommt Deyng zufolge oft ein immer noch männlich geprägtes Rollenverständnis, das junge Kolleginnen zweifeln lässt, ob sie in der Chirurgie wirklich willkommen wären.

Arztsein neu denken

„Wir wollen zeigen, dass die Chirurgie ein erfüllender, machbarer und zukunftsfähiger Beruf ist, auch und insbesondere für Frauen“, bekräftigt die Neurochirurgin. „Dazu braucht es aber echte Unterstützung.“ „Die Chirurginnen“ bieten deshalb Mentoring-Programme an, fördern den fachlichen Austausch und machen weibliche Karrieren in der Chirurgie sichtbar – online, auf Kongressen und direkt vor Ort. „Für die Zukunft wünschen wir uns eine Chirurgie, die moderner denkt, die lebensfreundlicher, flexibler und offener für unterschiedliche Lebensentwürfe ist“, sagt Deyng. Denn operative Exzellenz brauche Vielfalt – und das beginne mit fairen Chancen für den Nachwuchs, unabhängig vom Geschlecht.

Ärztinnenbund-Präsidentin Groß sieht das ähnlich. „Es sind ja nicht nur die jungen Frauen, die sich andere Arbeitszeitmodelle wünschen.“ Auch wenn diese immer noch die meiste Care-Arbeit leisteten, zeichne sich eine deutliche Verschiebung der klassischen Familienkonstellation ab, weil auch immer mehr Väter mehr Zeit mit dem Nachwuchs verbringen wollten. „Deshalb profitieren alle von den Veränderungen, die wir anstreben“, sagt Groß. Eine 40-Stunden-Woche mit zusätzlichen Nacht- und Sonderdiensten sei nicht mehr zeitgemäß. Das belegten auch die Trends, die sich aus der Ärztestatistik der BÄK und der Arztzahlstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ableiten ließen: Immer mehr Ärztinnen und Ärzte arbeiteten in Teilzeit, und in der ambulanten Versorgung seien immer mehr Ärzte als Angestellte tätig. Aktuell sind in Nordrhein von 20.989 ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten, 8.094 angestellt tätig. Vor zehn Jahren lag deren Zahl noch bei rund der Hälfte (siehe Grafik 2).

Um Karrieren von Ärztinnen zu fördern, spricht sich der Ärztinnenbund für das sogenannte Topsharing aus. Dabei werden Führungspositionen von Anfang an als Doppelspitze ausgeschrieben und besetzt, Aufgaben und Kompetenzen sinnvoll aufgeteilt. „Die Bedürfnisse von Frauen und Müttern werden noch immer nicht ausreichend berücksichtigt. Das muss sich ändern“, fordert Groß. Dazu müsse man die Betroffenen mit ins Boot holen. Jungen Ärztinnen rät sie, mutig zu sein und Missstände anzusprechen.