Die Verwendung Künstlicher Intelligenz (KI) kann die medizinische Versorgung verbessern. Voraussetzung ist, dass Ärztinnen und Ärzte den Prozess mitgestalten und damit sicherstellen, dass die Technologie zum Wohl der Patienten eingesetzt wird. Außerdem muss die ärztliche Letztverantwortung gewahrt bleiben. Das war der Tenor des Dialogforums für junge Ärztinnen und Ärzte, das Ende Mai im Vorfeld des 129. Deutschen Ärztetags in Leipzig stattfand.
von Heike Korzilius
„KI konkret im ärztlichen Alltag“ lautete der Titel des diesjährigen Dialogforums, das traditionell im Vorfeld des Deutschen Ärztetages stattfindet. Das Thema traf offenbar einen Nerv, denn der Tagungsraum im Congress Center Leipzig war bis auf den letzten Platz gefüllt. „KI kann die Medizin disruptiv verändern“, sagte PD Dr. Peter Bobbert, Co-Vorsitzender des Ausschusses Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung der Bundesärztekammer im Rahmen einer Podiumsdiskussion. Deshalb dürften die Ärztinnen und Ärzte die Einführung der neuen Technologie nicht nur beobachten. Sie müssten sie mitgestalten. „Es braucht die ärztliche Stimme, damit KI zum Wohl der Patienten eingesetzt wird“, erklärte Bobbert. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die Ärzte über ausreichende Kompetenzen im Umgang mit KI sowie der Bewertung ihrer Chancen und Risiken verfügten. In diesem Zusammenhang plädierte Dr. Julia Fritz, Hausärztin aus Sachsen, für ein Curriculum „KI-Kompetenz“ in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung. Da seien auch die Ärztekammern gefordert. Sie warb zudem dafür, bei der Implementierung von KI in der ärztlichen Praxis die Patienten „mitzunehmen“ und den Prozess kommunikativ angemessen zu begleiten. „Man kann viel erreichen, wenn man als Ärztin oder Arzt die Technologie beherrscht“, betonte Dr. Carina Vorisek, Medizininformatikerin am Berlin Institute of Health an der Charité. Damit KI aber alltagstauglich zum Einsatz kommen könne, benötige man Interoperabilität zwischen den Sektoren im Gesundheitswesen und offene Schnittstellen. „Wir müssen als Ärzteschaft eine Vision entwickeln, wo wir digital stehen wollen“, appellierte Vorisek an die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter zahlreiche Vertreter der Ärztekammern. „Nur dann können wir mithilfe von KI eine bessere Versorgung umsetzen und bessere Ärztinnen und Ärzte werden.“ Die ärztliche Letztverantwortung bei medizinischen Entscheidungen, die mithilfe von KI in Diagnose und Therapie getroffen werden, betonte der Berliner Laborarzt Dr. Michael Müller. „Diese ist nicht ersetzbar, selbst wenn die KI besser ist als wir“, sagte er.
KI-Lösungen für den Alltag
Flankiert wurde die Diskussionsveranstaltung von Beispielen für erfolgversprechende KI-Lösungen im medizinischen Alltag. Dabei standen Anwendungen im Vordergrund, die administrative Prozesse erleichtern und Entscheidungshilfen in Diagnose und Therapie bieten. So hat ein Team um Dr. Dr. rer. pol. Sebastian Griewing von der Universitätsklinik Gießen und Marburg einen Chatbot entwickelt, der es Ärztinnen und Ärzten erleichtern soll, auf onkologisches Leitlinienwissen zuzugreifen. „Der Wissenszuwachs in unserem Fach ist rasant“, sagte der angehende Gynäkologe. Der Chatbot solle dabei helfen, Wissen zugänglicher zu machen und damit den therapeutischen Fortschritt in die Versorgung zu bringen. Die KI-Anwendung könne eine Brücke schlagen zwischen Evidenz, Leitlinien und klinischer Versorgung.
Der Arzt und Ingenieur Dr. Florian Hellmeier vom Unternehmen x-cardiac stellte ein KI-basiertes Tool zur Vorhersage von Komplikationen auf der Intensivstation vor. Genutzt würden dabei Routinedaten, die man auf jeder kardiologischen Station erfasse, erläuterte Hellmeier. Vorhersagen beträfen zurzeit in erster Linie das Risiko für eine Nachblutung, die mit einer bis zu vierfach erhöhten Mortalität der Patienten einhergehe, sowie das häufig unterschätzte Risiko für eine akute Nierenschädigung. Eine treffsicherere Risikovorhersage könne hier zu einem besseren Behandlungsergebnis beitragen, sagte Hellmann. Ziel sei es, das Tool auch auf andere Patientenkollektive und Risikofaktoren auszuweiten.
Bessere Risikoeinschätzung
Die vom Schweizer Unternehmen Tiplu entwickelte Software MAIA gibt Ärztinnen und Ärzten Hinweise auf Verdachtsdiagnosen oder drohende medizinische Komplikationen bei ihren Patienten. Mithilfe des Tools, so Tiplu-Geschäftsführer Lennart Janzen, könnten individuelle Risiken genauer eingeschätzt und entsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Damit Ärztinnen und Ärzte die Plausibilität der KI-Vorschläge überprüfen könnten, liefere MAIA die Begründung mit. Als erstes Krankenhaus in Deutschland hatte nach eigenen Angaben das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein im Januar dieses Jahres die Software in die Versorgung eingeführt.
Erleichterte Dokumentation
KI-Anwendungen wie ARGO (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) und Noa Notes (Jameda) sollen die medizinische Dokumentation erleichtern. Sie zeichnen das Patientengespräch auf und überführen es in das jeweils gewünschte Textformat wie zum Beispiel Arztbriefe. Noa Notes benötigt dafür Jameda-Geschäftsführerin Constanze Stypula zufolge gerade einmal knapp über drei Sekunden. Ärztinnen und Ärzte verwendeten 20 Prozent ihrer täglichen Arbeitszeit für die medizinische Dokumentation, sagte Stypula. „Das ist zu viel.“ Anwendungen wie Noa Notes ermöglichten es, sich wieder mehr Zeit für die Patienten zu nehmen.
Wie das Dialogforum für junge Ärztinnen und Ärzte beschäftigte sich auch der 129. Deutsche Ärztetag in einem Schwerpunkt mit dem Thema „KI in der Medizin“ (siehe Kasten).
Leitplanken für KI in der Medizin
Für eine verantwortungsvolle Einführung von Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) hat sich Ende Mai in Leipzig der 129. Deutsche Ärztetag ausgesprochen. Zugleich forderten die Delegierten, die Ärzteschaft müsse die Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI mitbestimmen und mitgestalten. Nur so könne gewährleistet werden, dass sich die neuen Anwendungen vorrangig am Patientenwohl ausrichteten. In einem mit großer Mehrheit angenommenen Beschluss heißt es, die Anwendung von KI in der Medizin biete das Potenzial, Diagnose- und Behandlungsprozesse grundlegend umzugestalten, die medizinische Dokumentation zu erleichtern, Verwaltungsabläufe effizienter zu gestalten und das Gesundheitssystem zu transformieren. Inwieweit KI in Zukunft auch ärztliche Entscheidungen übernehmen könne, die die Beziehung zwischen Arzt und Patient berührten, sei aktuell nicht absehbar. Der Einsatz von KI-Anwendungen in der Patientenversorgung werde jedoch in zunehmendem Maße Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit werden. Entscheidend ist nach Ansicht des Ärztetages, dass die empathische Kommunikation und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient einen wesentlichen Anteil am Behandlungserfolg haben. Beides dürfe durch den Einsatz von KI nicht in den Hintergrund geraten, warnte das Ärzteparlament. Darüber hinaus müsse die abschließende Verantwortung für Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie bei den Ärztinnen und Ärzten verbleiben und dürfe nicht an ein KI-System übertragen werden. Voraussetzung für einen Einsatz von KI-Anwendungen ist dem Ärztetag zufolge die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes. Auch die Datenqualität spiele für den Einsatz eine entscheidende Rolle. KI-Algorithmen müssten mit qualitativ hochwertigen, relevanten und repräsentativen Daten trainiert werden, die die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelten, um Fehldiagnosen, Diskriminierungen und Verzerrungen zu vermeiden. Der Ärztetag sprach sich zudem dafür aus, die KI-Kompetenzen der Ärztinnen und Ärzte zu stärken. Sie müssten in Aus-, Fort- und Weiterbildung befähigt werden, die Funktionsweisen und Risiken von KI-gestützten Systemen zu verstehen. Zugleich gelte es, klassische ärztliche Kompetenzen weiterzuentwickeln, um Ergebnisse der KI auf Plausibilität prüfen zu können.
Der Abstimmung vorausgegangen war eine konstruktive Debatte. Die Delegierten zeigten eine große Offenheit gegenüber der neuen Technologie, ohne die Risiken in ihren Redebeiträgen zu vernachlässigen. Ob die KI Spielerei oder disruptive Veränderung in der medizinischen Versorgung bedeute, lasse sich noch nicht sagen, erklärte PD Dr. Peter Bobbert, Co-Vorsitzender des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer. Die neue Technologie werde in jedem Fall die Digitalisierung in der Medizin beschleunigen und dazu beitragen, Prozesse deutlich effizienter zu gestalten. „Wir können dann wieder mehr Zeit für unsere Patienten haben“, so Bobbert. Die KI werde ohne Frage kommen. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Ärztinnen und Ärzte die Standards mitbestimmten.
HK
Die Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Künstlichen Intelligenz findet sich unter