Zuhören, anpacken, umsetzen – so lautet das Motto der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken auf ihrem Instagram-Kanal. Die Umsetzung der gesundheitspolitischen Reformvorhaben aus dem Koalitionsvertrag wird kein Spaziergang für die bisher in der Gesundheitspolitik noch nicht in Erscheinung getretene Politikerin.
von Thomas Gerst
Im zweiten Wahlgang klappte es am 6. Mai doch noch mit der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler, und am frühen Abend konnte die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) im Bundestag nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten den Amtseid ablegen. Ihre Berufung ins Ministeramt war sicherlich eine der Überraschungen bei der Regierungsbildung für die kommende Legislaturperiode. „Diesen Namen hatte kaum jemand auf dem Zettel“, hatte der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz am 28. April bei der Vorstellung der für die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD vorgesehenen CDU-Ministerinnen und -Minister angemerkt. Nina Warken sei eine Frau, die eher im Stillen wirke. „Sie übernimmt eine Aufgabe, die sicher zu den schwierigsten im Lande zählt, mit vielen unterschiedlichen Interessen. Das erfordert vor allem persönliche Stabilität und ein klares politisches Konzept“, betonte Merz. Vertiefte Kenntnisse in der Gesundheitspolitik scheinen für ihn als Qualifikation für die Besetzung des Ministeramts von eher untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein.
Expertin für Innere Sicherheit
Die neue Gesundheitsministerin ist seit 2013 als direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Odenwald-Tauber im Deutschen Bundestag und dort seit 2021 Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Fachgebiet der 46-jährigen Rechtsanwältin in ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete war bisher die Innere Sicherheit. Folgerichtig wirkte sie bei der Vorbereitung des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD in der Arbeitsgruppe „Inneres, Recht, Migration und Integration“ mit und nicht in der Arbeitsgruppe, die sich mit den Themen Gesundheit und Pflege befasste. Dort verhandelte für die CDU unter anderen Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der vielen als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Bundesgesundheitsministers galt. Der Rechtsanwalt soll nun seine Expertise als Parlamentarischer Staatssekretär ins Ministerium einbringen, gemeinsam mit dem gesundheitspolitisch versierten Dr. iur. Georg Kippels, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Rhein-Erft-Kreis I.
Positive Erwartungshaltung
Es wird also in der neuen Legislaturperiode viel juristischer Sachverstand in der Führung des Bundesgesundheitsministeriums vorzufinden sein, sicherlich kein Nachteil, wenn es darum geht, sich im Paragrafendschungel der Sozialgesetzbücher zurechtzufinden und diesen möglicherweise im Sinne einer effizienteren gesundheitlichen Versorgung auch ein wenig zu lichten. Und wenn es um die Umsetzung wichtiger Reformen geht, so scheint politische Durchsetzungsfähigkeit manchmal wichtiger als Fachwissen. Aus ihrer Tätigkeit als Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird Nina Warken auf einen diesbezüglichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können.
Die Reaktionen aus dem gesundheitspolitischen Raum auf Nina Warken als neuer Gesundheitsministerin waren zunächst einmal überwiegend positiv. So zeigten sich die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erfreut über die Ernennung und hofften auf eine konstruktive Zusammenarbeit, nachdem die vergangene Legislaturperiode unter anderem geprägt gewesen sei durch Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung. „Bei der neuen Bundesregierung setzen wir auf echte Bereitschaft zum sachlichen Dialog und mehr Verlässlichkeit im Handeln“, erklärten die Vorstände mit kritischer Distanzierung zum Amtsvorgänger Professor Dr. Karl Lauterbach. Vorschusslorbeeren für die neue Gesundheitsministerin gibt es auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). „Wir sind überzeugt, dass Nina Warken gemeinsam mit ihrem Team … einen neuen Ton in die gesundheitspolitische Kommunikation bringen wird“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. rer. pol. Gerald Gaß. Eine respektvolle und lösungsorientierte Zusammenarbeit habe man in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Etwas verhaltener sind die Glückwünsche an die neue Ministerin vonseiten der Krankenkassen. Sie sind verbunden mit der dringenden Bitte, möglichst rasch die Stabilisierung der Finanzlage von Kranken- und Pflegeversicherung in die Wege zu leiten.
Gerade in diesem Punkt bleiben die Vereinbarungen zur Gesundheitspolitik im 144-seitigen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD relativ vage. Angestrebt sei, so heißt es in dem neun Seiten umfassenden Kapitel zu Gesundheit und Pflege, „die seit Jahren steigende Ausgabendynamik zu stoppen und die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen zu schließen“. Wie genau dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt vorläufig allerdings noch offen. Eine Expertenkommission soll dazu bis zum Frühjahr 2027 konkrete Maßnahmen vorschlagen – viel zu spät meinte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, anlässlich der Regierungsbildung. Es brauche mehr Tempo auf dem Weg dorthin und die schnelle Umsetzung erster Sofortmaßnahmen.
Verbindliches Primärarztsystem
Es gibt also Handlungsdruck, und der neuen Bundesgesundheitsministerin bleibt wenig Zeit, sich mit der für sie neuen Materie vertraut zu machen und eine To-do-Liste auf der Grundlage des Koalitionsvertrags zu erarbeiten. Manches dort ist unpräzise formuliert und lässt Interpretationsspielraum bei der späteren Ausgestaltung zu. Einige Vorhaben werden aber durchaus konkret benannt, was die Umsetzung in der kommenden Legislaturperiode wahrscheinlicher erscheinen lässt. Dies gilt auch für Reformen, mit denen die ambulante Versorgung durch Ärztinnen und Ärzte verbessert werden soll. Hier setzen die Regierungsparteien „auf ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag“, was im Wesentlichen auch einem Beschluss des 128. Deutschen Ärztetages aus dem vergangenen Jahr entspricht. Ausnahmen sollen für die ambulante Versorgung in der Augenheilkunde und in der Gynäkologie gelten. Zudem soll es Sonderregelungen für die Versorgung bestimmter schwerer chronischer Erkrankungen geben. Da sich auch die Krankenkassen für ein verbindliches Primärarztsystem aussprechen, stehen die Chancen auf eine Realisierung dieses Reformprojekts gut, auch wenn zunächst einmal kritisch hinterfragt werden sollte, wie der zusätzliche Versorgungsaufwand von den ohnehin überlaufenen Hausärztinnen- und Hausarztpraxen bewältigt werden kann.
Weiter ist laut Koalitionsvertrag vorgesehen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen künftig verpflichtet werden, Patienten bei festgestelltem fachärztlichen Versorgungsbedarf innerhalb einer bestimmten Frist einen Termin zu vermitteln. Gelinge dies nicht, werde den Patienten der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht.
Bagatellgrenze bei Regressen
Zudem wollen die Koalitionäre mit einigen Maßnahmen für eine bessere ärztliche Versorgung in bisher unterversorgten Regionen sorgen. So soll den Ländern mit einer ausschlaggebenden Stimme in den Zulassungsausschüssen eine bessere Versorgungssteuerung ermöglicht werden. Geplant sind darüber hinaus in den laut Bedarfsplanung unterversorgten Regionen Zuschläge zum ärztlichen Honorar, in überversorgten Gebieten Abschläge – ein Vorhaben, das bei der KBV auf Ablehnung stößt. „Man sollte sich hüten, von diesen Bedarfsplanungszahlen automatisch auf Über- oder Unterversorgung zu schließen“, sagte dazu der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen. De facto gebe es diese überversorgten Regionen nicht, diese seien eher ein Produkt der Bedarfsplanung.
Mit der Einführung einer Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte wird eine Regelung angestrebt, die bereits 2024 im Entwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz vorgesehen war, das mit dem abrupten Ende der Ampel-Koalition im Bundestag nicht mehr weiterverfolgt werden konnte. Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die sich bisher nicht selten wegen geringer Beträge in einer bürokratischen Endlosschleife wiederfinden, würde diese Maßnahme eine Entlastung bedeuten. Auch für die Krankenhäuser sieht der Koalitionsvertrag eine Reduzierung der Kontrollen durch den Medizinischen Dienst vor. Vorgesehen ist, die Prüfquote erheblich zu senken und bei nichtauffälligen Ergebnissen die Prüffrequenzen entsprechend anzupassen.
Geld für Transformationsfonds
Auch in einer weiteren Angelegenheit, die seit einem Urteil des Bundessozialgerichts im Oktober 2023 für Aufregung sorgt, wollen die Koalitionäre tätig werden. Geplant ist eine gesetzliche Regelung, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst ermöglicht. Mit dem geplanten Gesetz zur Regulierung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren scheinen die Regierungsparteien ein weiteres Thema angehen zu wollen, bei dem viele Ärztinnen und Ärzte mittlerweile Handlungsdruck sehen. Vorgesehen ist, Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel solcher Zentren sicherzustellen. Ob diese dann künftig nur noch dann gegründet werden dürfen, wenn die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte von Ärztinnen und Ärzten gehalten wird, lässt sich aus dem Wortlaut im Koalitionsvertrag nicht schließen.
Unklar ist auch, was mit einer Passage im Koalitionsvertrag zur Umsetzung der Krankenhausreform gemeint ist. Hier ist von einer Lücke bei den Sofort-Transformationskosten aus den Jahren 2022 und 2023 die Rede, die aus dem Sondervermögen Infrastruktur des Bundes finanziert werden soll. Wahrscheinlich ist damit ein Ausgleich für die gestiegenen Betriebskosten der Kliniken in den Jahren 2022 und 2023 gemeint. Klar ist hingegen die Absicht der Koalitionäre, künftig die Finanzierung der hälftigen Kosten des Transformationsfonds für die Krankenhäuser in Höhe von 25 Milliarden Euro nicht den gesetzlichen Krankenkassen aufzubürden, sondern ebenfalls aus dem Sondervermögen zu leisten. Weitere Vereinbarungen gelten der Umsetzung der Krankenhausreform, wobei insbesondere auffällt, dass den Ländern zur Sicherstellung der Grund- und Notfallversorgung besonders im ländlichen Raum Ausnahmen und erweiterte Kooperationen ermöglicht werden sollen. Weitere Details zu den angestrebten Maßnahmen finden sich unter www.bundestag.de (Suchbegriff: Koalitionsvertrag).
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