Der demografische Wandel macht auch vor Medizinern nicht halt. Von den Vertragsärztinnen und -ärzten in Nordrhein sind bereits mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt. Sie werden schon bald nach Lösungen für ihre Nachfolge suchen, damit ihre Patientinnen und Patienten weiter versorgt sind. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) unterstützt dabei auf vielfältige Weise.
von Thomas Lillig
Die in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Nordrhein übernehmen Verantwortung für die Zukunft. Bis zu 0,2 Prozent der morbiditätsbedingten Leistungsvergütung wenden sie für einen Strukturfonds auf, aus dem die KVNO Maßnahmen zur Sicherstellung und Nachwuchsgewinnung in strukturschwachen Gebieten organisiert und finanziert. Die nordrheinischen Krankenkassen beteiligen sich daran mit der gleichen Summe. Insgesamt sind dadurch seit 2018 über 45 Millionen Euro für die langfristige Sicherung der ambulanten Versorgung in Nordrhein eingesetzt worden.
Förderung im Strukturfonds
Der größte Anteil davon ging direkt in die Förderung von Praxisgründungen oder -übernahmen. Wer eine hausärztliche Praxis in einem Fördergebiet des Strukturfonds gründet oder übernimmt, kann dafür einen Investitionskostenzuschuss von bis zu 70.000 Euro erhalten. Auch möglich: die Eröffnung von Zweigpraxen in diesen Fördergebieten. Die KVNO fördert sie mit bis zu 10.000 Euro. Und wer sich entschließt, eine Ärztin oder einen Arzt in seiner hausärztlichen Praxis in einem Fördergebiet anzustellen, kann eine Förderung von bis zu 50.000 Euro als Anschubfinanzierung erhalten, um die finanziellen Anfangsbelastungen zu reduzieren.
Seit Beginn dieses Jahres neu in der Maßnahmenliste des Strukturfonds: die Förderung der Praxisnachfolge durch die Anstellung einer Sicherstellungsassistentin beziehungsweise eines Sicherstellungsassistenten. Das kann der Praxisinhaber sein – wenn er seinen Sitz bereits übertragen hat – oder der spätere Praxisübernehmer, sofern der Inhaber den Sitz noch innehat. Die Praxis erhält dafür eine monatliche Unterstützung von 2.500 Euro bei Vollzeittätigkeit der oder des Angestellten. Das Ziel: die Kontinuität der Versorgung sicherzustellen. Der Weg zu dieser Förderung ist denkbar einfach und unbürokratisch. Es gibt kein umständliches Zulassungsverfahren. Das Ausfüllen eines knappen Genehmigungsantrags genügt.
Quereinstieg Allgemeinmedizin
Eine weitere Maßnahme des Strukturfonds ist das Qualifikationspaket für Fachärztinnen und -ärzte für Innere Medizin und einige weitere Fachgruppen, die sich eine Tätigkeit in der allgemeinmedizinischen vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich vorstellen können. Die Qualifizierung dauert drei bis sechs Monate. Bei Entscheidung für die Niederlassung oder Anstellung in einer vertragsärztlichen Praxis kann sie um weitere drei Monate verlängert werden. In die gleiche Richtung geht die Förderung des Quereinstiegs in die Allgemeinmedizin. Ärztinnen und Ärzte ausgewählter Fachgebiete können für maximal 24 Monate gefördert werden, wenn sie sich zur Fachärztin beziehungsweise zum Facharzt für Allgemeinmedizin weiterbilden lassen. Beiden Programmen gemeinsam ist: Die KVNO zahlt teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten eine monatliche Unterstützung von 5.800 Euro, in Fördergebieten des Strukturfonds oder des NRW-Hausarztaktionsprogramms sind es insgesamt bis zu 7.500 Euro; beim Qualifizierungspaket erhält die ausbildende Praxis eine monatliche Aufwandsentschädigung von 1.500 Euro für Vollzeit-Qualifikanten zusätzlich, bei Teilzeit entsprechend anteilig. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme in einem Fördergebiet des Strukturfonds oder des NRW-Hausarztaktionsprogramms stattfindet.
Mit diesen und weiteren Programmen verhindert die KVNO regionale Engpässe in der ambulanten Versorgung in Nordrhein. Seit Start des Strukturfonds haben sich durch die Maßnahmen rund 300 neue Ärztinnen und Ärzte für die Tätigkeit in der Niederlassung entschieden.
Medizinerinnen und Mediziner, die sich in Nordrhein niederlassen oder angestellt in einer Praxis arbeiten wollen, profitieren von einem umfassenden kostenfreien individuellen Beratungsangebot der KVNO. „Unsere über 40 Beraterinnen und Berater unterstützen Praxiseinsteigende dabei, das Wissen zu erlangen, das neben medizinischen Inhalten für die Praxisführung erforderlich ist. Zum Beispiel, welche IT-Ausstattung eine Praxis braucht, wie man sicher abrechnet, wirtschaftlich verordnet und Hygieneanforderungen korrekt umsetzt“, beschreibt Claudia Pintaric, Abteilungsleiterin Beratung, die Themenfelder.
Erste Adresse für junge Medizinerinnen und Mediziner, die sich niederlassen möchten, ist die Niederlassungsberatung. In persönlichen Gesprächen erhalten sie Antworten auf alle wichtigen Fragen: von den Zulassungsvoraussetzungen über Betriebswirtschaft bis hin zur Wahl der Niederlassungsform – also ob eher die Einzelpraxis oder vielleicht doch die Kooperation in einem Ärzteteam besser zu einem passt.
Vom Einstieg bis zur Abgabe
Ein besonders intensives Beratungsprogramm ist der Kompass PraxisSTART. Ein persönlicher Beratungskoordinator stimmt gemeinsam mit den neu in die Versorgung Einsteigenden einen individuellen Fahrplan ab: Welche Beratungen sollten wann und in welcher Reihenfolge wahrgenommen werden? Welche Veranstaltungen und digitalen Angebote sind unterstützend empfehlenswert für die persönliche Zielsetzung? In Meilensteingesprächen schauen Berater und Einsteiger regelmäßig auf den Onboarding-Prozess und besprechen die nächsten Schritte. Rund 1.000 Ärzte und Psychotherapeuten haben diesen Service bereits genutzt.
Doch nicht nur Einsteigende, sondern auch Ärztinnen und Ärzte, die ihre Praxis übergeben möchten, nimmt das Team der Niederlassungsberatung an die Hand. Rund 700 Beratungen führt es jedes Quartal für Praxisabgebende durch. Ergänzend bietet die Niederlassungsberatung mehrmals jährlich Veranstaltungen an. Ärzten und Psychotherapeuten, die sich niederlassen wollen oder gerade niedergelassen haben, sei insbesondere die zweitägige Veranstaltung Start-Up in die ambulante Versorgung empfohlen. Einmal im Quartal werden mit diesem Beratungsangebot Niederlassungswillige mit allen wichtigen Informationen rund um Honorar, Verordnungen, IT und Hygiene versorgt.
„Alle Themen zur Niederlassung können in individuellen Beratungsterminen mit unseren Fachexpertinnen und -experten besprochen werden. Ergänzend dazu bietet die KVNO-Beratung rund 100 Schulungsveranstaltungen jährlich an“, so Pintaric.
Früh für die Niederlassung begeistern
Die KVNO-Nachwuchssuche beginnt schon im Studium. Die Abteilung Nachwuchsgewinnung Ärzteschaft und MFA ist im engen Austausch mit den Fachschaften an allen Medizin-Fakultäten in Nordrhein. „Wir veranstalten regelmäßig Seminare, in denen wir das KV-System vorstellen und Tipps für den Weg in die Praxis mitgeben“, sagt Linda Anders, Abteilungsleiterin Nachwuchsgewinnung. In Düsseldorf ist ihr Team außerdem bei der Campus-Tour im Rahmen der „Ersti-Wochen“ dabei. Verschiedene Institutionen präsentieren sich Erstsemester-Studierenden bei einem Rundgang über den Universitäts-Campus. Auch die KVNO ist mit von der Partie.
Was kann man noch tun, um den Kontakt zu Medizinstudierenden aufzubauen und zu festigen? Die Frage treibt Linda Anders und ihre Kolleginnen immer wieder um. So entstand auch die Idee zur Aktion „Eis gegen Frage“: „Im Sommer treffen sich Medizinstudierende alle zwei Wochen auf dem Campus der Universität Düsseldorf zum Grillen. Im vergangenen Juni hatten wir Liegestühle und einen Eiswagen zum Grillfest mitgebracht. Das Eis konnten die Studierenden nicht kaufen, sondern sie erhielten es bei Fragen zur Niederlassung. Das machte allen viel Spaß und weckte zudem das Interesse an der vertragsärztlichen Tätigkeit“, freut sich Referentin Sabine Sauer.
Stipendien für Studierende
Etwas bodenständiger ist die Vergabe von Stipendien. Im Rahmen des Deutschlandstipendiums fördert die KVNO an allen fünf Hochschulorten für Medizin jeweils vier Studierende für die Dauer von einem Jahr – zusätzlich zur Förderung durch den Bund. Ein weiteres Plus: Die Stipendiaten werden zu Veranstaltungen der KVNO eingeladen und erhalten dadurch erste Einblicke in die Niederlassung.
Rausgehen und Kontakte knüpfen: Das ist das Motto der Abteilung Nachwuchsgewinnung – wobei sie Nachwuchs nicht nur unter angehenden Ärztinnen und Ärzten sucht. „Wir sind regelmäßig mit unserem Infostand auf Jobmessen in Nordrhein vertreten. Dort werben wir vorrangig für das Berufsbild der Medizinischen Fachangestellten (MFA), um unsere Mitglieder bei der Suche nach Mitarbeitenden zu unterstützen“, sagt Viktoria König, ebenfalls Referentin im Team von Linda Anders.
In diesem Jahr stehen außerdem Veranstaltungen für den ersten Abschlussjahrgang im NRW-Studienprogramm „Landarztquote“ an. Ferner ist eine große Info-Kampagne in Vorbereitung. Mit Anzeigen, Videoclips, Testimonials, Social-Media-Aktivitäten und einer Kampagnen-Website will die KVNO bei Nachwuchsmedizinerinnen und -medizinern für die Praxistätigkeit und die positiven Seiten der Niederlassung werben.
Land- und Stadtpartien
Begegnung in lockerer Atmosphäre: Mehrmals jährlich organisiert die KVNO Land- und Stadtpartien, um Praxisinhabende und potenziell Praxissuchende im Rahmen eines eintägigen Treffens zusammenzubringen. 2025 wird es insgesamt sieben dieser Veranstaltungen geben. An der Niederlassung interessierte Medizinerinnen und Mediziner haben so die Möglichkeit, direkt Fragen zu einer möglichen Übernahme oder Anstellung zu stellen, mehr über die Praxis und den Patientenstamm zu erfahren und vielleicht schon gleich einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Auch immer mit dabei: das Team der KVNO-Beratung. Es stellt Beratungsangebote vor, führt in das Thema der Abrechnung ein und ist auch für individuelle Anliegen ansprechbar.
Das Veranstaltungsformat zählt zu den erfolgreichsten Fördermaßnahmen der KVNO: 142 einsteigende Ärztinnen und Ärzte – meist in Weiterbildung oder angestellt in einer Klinik – haben bereits an einer Land- oder Stadtpartie teilgenommen und von den kompakten Informationen rund um Niederlassung oder Anstellung profitiert. Viele von ihnen haben später eine Tätigkeit in einer Praxis aufgenommen. Ein weiteres Plus der Veranstaltungen: Vertreterinnen und Vertreter des Landkreises oder der Kommune sind vor Ort, um über Angebote in der Region zu informieren. „Sie stellen vor, welche Freizeitmöglichkeiten es gibt oder wie die Ausstattung mit Kindergärten und Schulen ist. Oft haben Kommunen zusätzliche eigene Förderangebote, über die sie bei der Land- und Stadtpartie dann berichten“, so Anders.
Plattform zum Suchen und Finden
Einen ähnlichen Ansatz wie die Land- und Stadtpartien verfolgt der Nordrheinische Praxisbörsentag. Er findet zweimal im Jahr in Düsseldorf statt. Die Veranstaltung ist eine Plattform zum Suchen und Finden: Praxen können hier potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger entdecken oder eine weitere Ärztin oder einen weiteren Arzt zur Verstärkung des Teams. Ärztinnen und Ärzte, die gerne in der vertragsärztlichen Versorgung tätig werden möchten, haben Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und sich in interessanten Vorträgen rund um die Niederlassung zu informieren. Stets gut besucht: die Aushang-Tafeln, an denen über die KVbörse aufgegebene Inserate ausgestellt werden. Über die angegebenen Daten können Interessierte direkt mit den Anbietenden in Kontakt treten.
Thomas Lillig ist Redakteur bei der KV Nordrhein