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Mein Beruf

„Man übergibt mir als Arzt das Vertrauen und die Verantwortung“

09.12.2025 Seite 43
RAE Ausgabe 1/2026

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2026

Seite 43

Dr. Riad Noureddine absolvierte das Studium der Humanmedizin an der Charité Berlin und der Universität Duisburg-Essen. Nach seiner Weiterbildung in Oberhausen und Velbert ließ er sich 2023 in der ehemaligen Praxis seines Vaters als Kinder- und Jugendmediziner nieder. © privat

Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über
ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.

RÄ: Herr Dr. Noureddine, Sie haben Ihre Praxis am Iltispark in Duisburg. Die Gegend gilt als sozialer Brennpunkt. Was hat Sie dazu bewogen, sich genau dort niederzulassen? 
Noureddine: Ich bin hier in Duisburg groß geworden, meinem Vater gehörte die Praxis vor mir. Er hatte sie in den frühen 1990er-Jahren übernommen. Ich lebte mit meiner Familie in der Wohnung oben drüber. Im Laufe der Zeit, so etwa ab dem Abitur, war mir klar, dass ich Medizin studieren will und perspektivisch dann auch, wenn sich die Chance ergibt, Kinderarzt werden möchte, um die Praxis hier zu übernehmen. 

RÄ: Was unterscheidet Ihren Praxisalltag von dem in besser situierten Gegenden?
Noureddine: Ich kann mir vorstellen, dass ein hoher Anteil an Eltern in besser situierten Gegenden sich im Vorfeld eines Praxisbesuchs in die medizinischen Themen eingelesen und informiert hat und dementsprechend auch mit mehr Hintergrundwissen und Fragen zu einem kommt. Ich denke auch, dass die Erwartungshaltung gegenüber der Ärztin oder dem Arzt dann größer ist. Hier ist es meistens so, dass mir als Arzt das Vertrauen und die Verantwortung übergeben werden. Häufig mit dem Grundgedanken: Er ist der Arzt, er weiß am besten, was für das Kind gut ist. Man legt die Gesundheit der eigenen Kinder quasi in meine Hände und vertraut mir, respektiert meine Arbeit. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist ein großer Ansporn für mich.

RÄ: Was mögen Sie an Ihrem Beruf besonders gerne?
Noureddine: Hier in der Praxis bin ich mein eigener Herr und entscheide komplett eigenständig. Das war während der Weiterbildungszeit im Krankenhaus natürlich ganz anders. Ich finde es gut, dass ich die Organisation der Praxis und die Patientenbehandlung eigenständig gestalten kann. Für mich ist die Niederlassung eine durchweg positive Erfahrung. Der Unterscheid zur Klinik ist eben auch, dass man hier die Menschen, die man behandelt, mit der Zeit richtig kennenlernt. Man kann die Symptome bei den Kindern viel besser einschätzen, wenn man die Eltern kennt. Es erleichtert die Arbeit, wenn man ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu den kleinen Patienten und ihren Familien hat.

„Eine Überweisung zum Facharzt geht je nach Fachdisziplin mit Wartezeiten von sechs bis zwölf Monaten einher. Für Kinder ist diese Zeitspanne viel zu lang.“

RÄ: Was stört Sie besonders an Ihrem Berufsalltag? 
Noureddine: Was mich wirklich stört, ist, dass man leider immer mehr sieht, dass die Kapazitäten der medizinischen Versorgung in Deutschland, so wie wir sie gewohnt sind, an ihre Grenzen stoßen. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir ein riesiges Problem bei der Beschaffung von Antibiotika. Viele Medikamente waren über Monate nicht verfügbar. Da bahnt sich in einem so reichen Land wie Deutschland eine enorme Schieflage an. Ebenso verhält es sich mit den Überweisungen zu Fachärztinnen und -ärzten. Als Hausarzt der Kinder sehe ich immer häufiger, dass eine Überweisung zum Facharzt je nach Fachdisziplin mit Wartezeiten von sechs oder sogar noch mehr Monaten einhergeht. Kinder, bei denen neurologische Auffälligkeiten abgeklärt werden oder die in einem sozialpädiatrischen Zentrum weiterbetreut werden müssen – unter einem Jahr geht da meist gar nichts, wenn man sich nicht im Einzelfall persönlich für ein besonders schwer betroffenes Kind stark macht.  Für die Kinder, gerade die kleinen, ist das eine viel zu lange Zeit. Ich bin dankbar, dass die Kolleginnen und Kollegen der  SPZ Ambulanzen durch viel persönliches Engagement versuchen diesem Problem entgegenzuwirken.

RÄ: Wir wissen ja von vielen Orten, besonders eben den Großstädten in Nordrhein, dass gerade die ärmeren Gegenden vom Ärztemangel betroffen sind. Wie ist die Lage bei Ihnen vor Ort? 
Noureddine: Wir erhalten täglich Anrufe und E-Mails mit der Bitte um Aufnahme neuer, kleiner Patienten in unserer Praxis. Es hat jetzt auch hier im Umfeld die ein oder andere Praxis geschlossen, zum Teil ohne Nachfolger. Wir versuchen, es so gut wie möglich aufzufangen. Doch mit steigender Anzahl der Patienten nimmt die Zeit für den Einzelnen ab. Wir stellen uns der Gradwanderung so viele Kinder wie möglich zu versorgen, ohne dass das einzelne Kind zu kurz kommt. 

Das Interview führte Vassiliki Temme