Vorlesen

Entschließungen der Kammerversammlung am 22. November 2014 im Wortlaut


Terminbürokratie und Praxisschließungen verhindern

Die Kammerversammlung lehnt Eingriffe in die freie Terminvergabe ebenso ab wie den Abbau von Arztpraxen in angeblich überversorgten Gebieten. Beide Maßnahmen schwächen die ambulante Versorgung und sind noch dazu hoch widersprüchlich. Sie dürfen deswegen in einem „Versorgungs­stärkungsgesetz“ keinen Platz haben. Stattdessen müssen die Rahmenbedingungen für die ambu­lante ärztliche Versorgung wirksam verbessert werden.­


Regresse abschaffen

Die Kammerversammlung fordert die völlige Abschaffung von Regressen für ärztliche Verordnungen.

Ebenso fordert die Kammerversammlung den Gesetzgeber auf, auf die im sogenannten
„GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG)“ zusätzlich geplanten Regressmöglichkeiten für Überweisungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu verzichten.


Den Arztberuf als Freien und unabhängigen Beruf erhalten - einschränkende Regelungen im Versorgungsstärkungsgesetz werden abgelehnt

Der vorliegende Referentenentwurf zu einem „Versorgungsstärkungsgesetz“ vom 13.10.2014 enthält Regelungen, die eine Einschränkung ärztlicher Freiberuflichkeit und Unabhängigkeit zur Folge haben. Dies gilt für selbstständige und angestellte Ärzte.

Insbesondere soll der Tätigkeitsumfang zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Haus- und Fachärzte unter dem Aspekt der Versorgung laufend und umfassend geprüft werden - auch im Hinblick auf Terminvergabe und Wartezeiten. Ärzte werden mit Sanktionen bedroht, wenn der Tätig­keitsumfang vermeintlich nicht ausreichend sein sollte. Dadurch besteht die Gefahr, dass die erfor­derliche Sorgfalt der ärztlichen Behandlung, nicht zuletzt im Patientenrechtegesetz formuliert, nicht mehr möglich sein wird.

Die Bedrohung durch Regresse infolge von Wirtschaftlichkeitsprüfungen für erbrachte und ver­anlasste Leistungen (Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln, Medikamenten, Klinikeinweisungen, Überweisung zu technischen Leistungen, Arbeitsunfähigkeits-bescheinigungen) soll regionalisiert, aber ausdrücklich beibehalten werden.

Das sozialtechnische Instrument der Prüfungen besonders auf Grundlage von Durchschnitts­vergleichen hat zur Folge, dass der Arzt in seiner Verordnungsweise ständig unter Druck gesetzt wird, gerade nicht unabhängig im Sinne des einzelnen Patienten zu handeln, wie es nach ärztlichem Ethos und Berufsordnung geboten wäre. Zugleich ist die Durchschnittsbetrachtung geeignet, das Verordnungsniveau stetig zu senken und damit eine Verschlechterung der Versorgung zu bewirken.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert vom Gesetzgeber, auf jegliche Regelungen zu verzichten, die die Freiberuflichkeit und Unabhängigkeit selbstständiger und angestellter Ärzte einschränken oder gefährden. Dies gilt auch für alle Bestimmungen, die die Organisation der Arzt-Patienten-Interaktion in Klinik, Praxis und anderen Einrichtungen der  Patien­tenbehandlung betreffen. Insbesondere müssen gesetzliche Regelungen mit Bezug auf Wartezeiten auf Arzttermine stets berücksichtigen, dass die notwendigen Voraussetzungen für die erforderliche Sorgfalt in der Arzt-Patienten-Beziehung gewährleistet bleiben. Das Ziel der Verkürzung von Warte­zeiten darf keinesfalls zu Lasten notwendiger  Behandlungsressourcen und der Sorgfaltspflicht gegenüber jedem einzelnen Patienten gehen.

Die Ausübung des freien und unabhängigen Arztberufes im Interesse unserer Patienten muss im Mittelpunkt stehen - und nicht dirigistische Vorgaben von Körperschaften, Behörden wie dem gemein­samen Bundesauschuss oder Krankenkassen. Wir fordern entschieden, das im Gesetzentwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz zu berücksichtigen. Der Gesetzentwurf ist deshalb in zahlreichen kritischen Punkten gemeinsam mit der kurativ tätigen Ärzteschaft grundlegend zu überarbeiten. 


Psychotherapie ist eine genuin ärztliche Tätigkeit

Die Ärztekammer Nordrhein möge alles in ihren Möglichkeiten Stehende unternehmen, ärztliche Psychotherapie zu fördern. Sie möge in der Ärzteschaft noch einmal in Erinnerung rufen, dass Psychotherapie eine genuin ärztliche Tätigkeit ist und das Gespräch integraler Bestandteil aller ärztlichen Berufsausübung. Die Ärztekammer wird dies in der Außen­wirkung gegenüber der Politik, den Gremien und den Verbänden mit Nachdruck darstellen.

Damit die Stellung der ärztlichen Psychotherapie erhalten bleibt bzw. weiter gefestigt wird, sollte die Ärztekammer Nordrhein mit ihren Mitteln darauf hinwirken, dass bei der Durchführung/Umsetzung der im aktuellen Referentenentwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes vorgesehenen psychothera­peutischen Sprechstunden verpflichtend die Nutzung spezifisch ärztlicher psychotherapeutischer und psychosomatischer Kompetenzen vorgesehen wird. 


Versorgungsstärkungsgesetz: § 44 Abs. 4 SGB V Anrufe von Krankenkassen bei Arbeitsunfähigen

Die Einfügung eines Absatzes 4 in § 44 SGB V

„(4) Versicherte haben Anspruch auf eine umfassende Prüfung, individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Die Krankenkasse darf die dazu erforderlichen personenbezogenen Daten nur mit Einwilligung und nach vorheriger Information des Versicherten erheben, verarbeiten und nutzen.“

wird abgelehnt, da die bestehenden Regelungen, Arztanfragen gemäß Formularvereinbarung sowie die Vorstellung beim MDK ausreichen.

Einer direkten Überprüfung der ärztlichen Behandlung durch die Krankenkasse unter Umgehung des MDK ist Absage zu erteilen.

Direkte Anrufe der Krankenkassen bei Arbeitsunfähigen verletzten die Rechte der Patienten auf eine geschützte Arzt-Patientenbeziehung. 


Versorgungsstärkungsgesetz § 39, Entlassmanagement und Arzneimitteltherapiesicherheit

Die Kammerversammlung fordert den Gesetzgeber auf, bei der Krankenhausentlassung die Mitgabe derjenigen Arzneimittel gesetzlich vorzugeben, die bis zum nächsten Werktag mit Regelsprechstunde erforderlich sind. Eine entsprechende Kostenerstattung ist für die Krankenhausapotheken vorzusehen.

Die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, nach der bei der Krankenhausentlassung Rezepte in der kleinsten Packungsgröße ausgestellt werden können, birgt hingegen Risiken für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Diese Regelung kann zu zusätzlichen Medikamentenwechseln, Doppel­medikation durch Patienten aus eigenem Bestand und einem verspäteten Aufsuchen des weiter­behandelnden Arztes führen. Einer Verschlechterung gerade für Schwerkranke durch sich ergebende Beschaffungspflicht soll durch die von der nordrheinischen Ärzteschaft geforderte gesetzliche Fest­schreibung der bisher schon bewährten Mitgabepraxis entgegengetreten werden.


Freie Berufe in Nordrhein-Westfalen stärken

Die Kammerversammlung begrüßt die Befassung des nordrhein-westfälischen Landtages mit aktuellen Plänen der EU zum Dienstleistungswettbewerb. Die Kammerversammlung fordert den Landtag auf, europäischen Vereinheitlichungsbestrebungen entgegenzutreten, die die hohe Qualität freiberuflicher Dienstleistungen in unserem Bundesland gefährden.


In Qualität investieren - Krankenhausfinanzierung reformieren

Die Kammerversammlung fordert die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Krankenhausversorgung auf, sich für eine bedarfsgerechte und verlässliche Investitionsfinanzierung und eine volle Refinanzierung der Personalkostensteigerungen einzusetzen.

Darüber hinaus sind aktuelle Kostenentwicklungen realistisch zu erfassen und zeitnah bei der Ver­gütung zu berücksichtigen. Zudem müssen Kliniken auch die Behandlungen von Patienten mit besonders komplizierten, therapieaufwändigen und seltenen Krankheiten sachgerecht abrechnen können. Die sichere Versorgung der Bevölkerung in strukturschwachen Gebieten ist durch Vergütungszuschläge zu gewährleisten. Krankenhausträger und Kostenträger sollen die Möglichkeit erhalten, in regionalen und lokalen Verhandlungen dem spezifischen stationären Versorgungsbedarf vor Ort gerecht zu werden.


In Qualität investieren - wirtschaftliche Existenz der freiberuflichen Arztpraxen sichern

Die Kammerversammlung Nordrhein fordert alle in die Honorarentwicklung einbezogen Verantwortlichen und Institutionen auf, sich für eine bedarfsgerechte und verlässliche Honorierung niedergelassener Ärzte einzusetzen.

Hierzu gehören die Berücksichtigung einer betriebswirtschaftlich ausreichenden Finanzierung apparativer Investitionen sowie die volle Refinanzierung der Steigerung von Personalkosten einschließlich des kalkulatorischen Arztgehaltes.

Darüber hinaus sind aktuelle Kostenentwicklungen realistisch zu erfassen und zeitnah bei der Honorierung zu berücksichtigen. Patienten, bei denen eine überdurchschnittlich hohe Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung notwendig ist, müssen sachgerecht abgerechnet werden können. Die sichere Versorgung der Bevölkerung in strukturschwachen Gebieten kann nur durch ausreichenden wirtschaftlichen Anreiz zur Niederlassung in solchen Gebieten gewährleistet werden. Eine eventuell gebotene finanzielle Besserstellung der Praxen in solchen Gebieten ist durch Gelder außerhalb der regulären GKV-Honorare zu gewährleisten, eine Quersubventionierung durch Praxen in sogenannten überversorgten Gebieten ist nicht akzeptabel.


Die Koalitionsfreiheit respektieren - kein Streikverbot für Ärztinnen und Ärzte

Die Kammerversammlung fordert von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag, das Grundrecht der Koalitionsfreiheit zu respektieren und die Pläne für ein „Tarifeinheitsgesetz“ zu verwerfen.

Der Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums ist ein fundamentaler Angriff auf die freie gewerkschaftliche Betätigung der Arbeitnehmer, wie sie in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes „für jedermann und für alle Berufe“ garantiert ist.


Finanzierung der ambulanten Weiterbildung gleichberechtigt für Fachärzte analog der Weiterbildung für Hausärzte

Die Kammerversammlung fordert eine Ausweitung der fakultativen ambulanten Weiterbildung in Vertragsarzt­praxen der fachärztlichen (Grund-)Versorgung. Die finanzielle Ausgestaltung sollte analog der Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin erfolgen, das heißt derzeit durch Gelder von KV und Krankenkassen. Diese fakultative ambulante Weiterbildung sollte auch im SGB V gesetzlich verankert werden. Die Kammerversammlung hält Verbundweiterbildungen von Kliniken und Facharztpraxen für sehr sinnvoll.


Die Rechtsnorm zur Pool-Beteiligung muss auch in NRW in das Landeskrankenhausgesetz aufgenommen werden

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert vom Gesetzgeber, eine Rechtsnorm zur Poolbeteiligung in das Landeskrankenhausgesetz NRW, analog zu den bereits vorhandenen Passus der Landeskrankenhausgesetze Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Saarland, aufzunehmen.


Wahl zur Kammerversammlung

Die Kammerversammlung beauftragt den Vorstand der Ärztekammer Nordrhein, für die nächste Wahl zur Kammerversammlung Lösungswege für eine bessere Umsetzung der Vorgaben des Heilberufsgesetzes im 1. Abschnitt § 6 (5) und § 16 zu suchen und in einer der nächsten Kammerversammlungen darüber zu berichten.