Entschließungen der Kammerversammlung am 22. November 2025 im Wortlaut
Ärzteschaft fordert Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf verschreibungspflichtige Medikamente
In Deutschland wird auf Arzneimittel der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erhoben, weil Arzneimittel nicht als "Waren des täglichen Bedarfs", sondern als "Luxusgut" eingestuft
werden.
Für die Ärzteschaft ist es unerklärlich, warum Jakobsmuscheln und Schnittblumen mit 7 Prozent besteuert werden, wohingegen lebenserhaltende Medikamente wie Zytostatika oder Antiasthmatika als Luxusgut gelten. Von 27 EU-Mitgliedsstaaten wenden 24 einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel an oder verzichten komplett auf eine Besteuerung.
Die Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, bei verschreibungspflichtigen Medikamenten dauerhaft den Mehrwertsteuersatz auf 7 Prozent abzusenken. Diese Maßnahme allein würde die GKV um rund 5 Milliarden Euro jährlich entlasten.
Verbesserte Kennzeichnungspflichten für OTC-Arzneimittel
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert das BfArM auf, für alle im OTC-Bereich erhältlichen Arzneimittel präventive und begleitende Empfehlungen zum
betreffenden Krankenbild zu erarbeiten und in die Patienteninformation aufzunehmen. Diese ergänzen die bisherigen verbindlichen, deutlich sichtbaren und laienverständlichen
Kennzeichnungsvorgaben zu Anwendungszweck, Risiken, Dosierungsgrenzen und potenziellen Nebenwirkungen.
Gewährleistung gesundheitsverträglicher politischer Entscheidungsprozesse – Schutz der ärztlichen Arbeitsfähigkeit und Weiterbildung
Die Ärztekammer Nordrhein wird beauftragt, gegenüber Gesetzgebern, Ministerien und sonstigen politischen Entscheidungsträgern darauf hinzuwirken, dass gesundheitspolitische
Entscheidungen künftig unter ausdrücklicher Berücksichtigung der physischen und psychischen Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte getroffen werden.
Insbesondere ist sicherzustellen, dass neue gesetzliche oder administrative Vorgaben nur mit angemessenen, realisierbaren Umsetzungsfristen sowie unter Vermeidung unverhältnismäßiger Sanktionsandrohungen erlassen werden.
Einzelhandel und medizinische Versorgung strikt trennen
Die Ärztekammer Nordrhein lehnt die Erbringung ärztlicher Leistungen in Einrichtungen des Einzelhandels entschieden ab.
Angebote wie Impfungen, Gesundheitsuntersuchungen oder medizinische Beratung außerhalb qualitätsgesicherter ärztlicher Versorgungseinrichtungen (Praxen, MVZ, Kliniken) gefährden potentiell die Patientensicherheit, fragmentieren die Versorgung und entziehen dem Gesundheitssystem qualifizierte Ressourcen oder binden sie durch unnötige Folgekontakte in der Regelversorgung.
Die Kammerversammlung stellt fest:
- Die Erbringung ärztlicher Leistungen muss in transparenten Strukturen mit klarer, für Patientinnen und Patienten sichtbarer individueller ärztlicher Verantwortung, fachlicher Qualifikation und berufsrechtlicher Kontrolle erfolgen.
- Neue Versorgungsangebote müssen zur Vermeidung diskontinuierlicher und ineffizienter Versorgung in bestehende qualitätsgesicherte ärztliche Strukturen integriert werden.
- Medizinische Diagnostik und Therapie sind keine konsumierbaren Dienstleistungen. Die Verknüpfung medizinischer Leistungen mit wirtschaftlichen Verkaufsinteressen untergräbt die ärztliche Unabhängigkeit und gefährdet das Patientenwohl.
- Eine weitere Kommerzialisierung des Gesundheitswesens durch "Low-Care-Angebote" in Einkaufsumgebungen löst keine Versorgungsprobleme, sondern schafft neue Risiken und Steuerungsdefizite.
- Internationale Modelle sind wegen unterschiedlicher Systemlogik, Berufsbilder und Rechtslagen nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragbar.
Die Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, entsprechenden Entwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken und gesetzliche Klarstellungen herbeizuführen, um ärztliche
Leistungen auf qualitätsgesicherte Versorgungsstrukturen zu beschränken.
Zugleich bietet die Ärztekammer Nordrhein ihre Mitwirkung an echten, patientenzentrierten und strukturell integrierten Versorgungsreformen an.
Ärztliche Gesamtverantwortung im hausärztlichen Versorgungsbereich ist nicht ersetzbar
Die hausärztliche Versorgung ist neben der gebietsärztlichen ambulanten und stationären Versorgung eine tragende Säule unseres Gesundheitswesens. Sie erfordert ärztliche
Fachkompetenz, klinische Erfahrung sowie eine kontinuierliche, personenbezogene Verantwortung.
Zur hausärztlichen Tätigkeit gehören insbesondere eine kontinuierliche Arzt-Patienten-Beziehung, die differenzialdiagnostische Beurteilung unselektierter Krankheitsbilder, die Priorisierung und Koordination medizinischer Maßnahmen, die Abwägung von Nutzen und Risiken bei unvollständiger Informationslage und uneindeutiger Evidenz, die langfristige Steuerung komplexer, multimorbider Krankheitsverläufe sowie die Betrachtung im biopsychosozialen Gesamtkontext.
Diese Aufgaben erfordern integrale Bestandteile der ärztlichen Diagnostik, Indikationsstellung und Therapieführung. Nichtärztliche Gesundheitsberufe können hierbei unterstützend mitwirken, der hausärztliche Versorgungsbereich erfordert auf Grund seiner Komplexität jedoch zwingend eine ärztliche Gesamtverantwortung.
Bürokratieabbau statt Kompetenzabbau und Entprofessionalisierung
Nicht die ärztliche Versorgung ist an ihre Grenzen gekommen, sondern ein Gesundheitssystem, das ärztliche Ressourcen in Formularen, Verwaltungsvorgängen und Doppeldokumentationen bindet, anstatt sie für die Patientenversorgung freizusetzen.
Die Ärztekammer Nordrhein fordert Politik und Kostenträger auf, Diskussionen oder Gesetzesvorhaben zur Substitution ärztlicher Tätigkeiten oder zur Übertragung heilkundlicher Verantwortung auf andere Berufsgruppen zu unterlassen, solange Ärztinnen und Ärzte einen erheblichen – und stetig wachsenden – Teil ihrer Arbeitszeit mit fachfremden und bürokratischen Aufgaben verbringen müssen.
Um eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung auch künftig zu sichern und zu verbessern, muss der Bürokratieabbau priorisiert werden und nicht der Aufbau von Ersatzstrukturen bei gleichzeitig fortgeführter Fehlallokation ärztlicher Ressourcen.
Jugendschutz: Ärzteschaft fordert strengere Kontrollen beim Online-Handel mit Tabakerzeugnissen, E-Zigaretten, E-Shishas und Tabakbeuteln
Die Ärztekammer Nordrhein stellt fest, dass Kinder und Jugendliche zunehmend über Onlineplattformen Zugang zu Produkten erhalten, die dem Jugendschutzgesetz unterliegen. Trotz eines gesetzlichen Verbots ist der Erwerb von Tabakerzeugnissen, EZigaretten, E-Shishas sowie nikotinhaltigen und nikotinfreien E-Liquids und Tabakbeuteln für Minderjährige im Onlinehandel derzeit vielfach ohne wirksame Alterskontrolle möglich.
Die Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, entsprechende Überwachungsbehörden (z. B. Lebensmittelaufsicht, Verbraucherschutz, Zoll, Polizei) personell so aufzustellen, so dass diese den Onlinehandel mit altersbeschränkten Produkten wie beispielsweise Tabakerzeugnissen, E-Zigaretten, E-Shishas und Tabakbeuteln regelmäßig kontrollieren und sanktionieren können. So müsse zwingend bei altersbeschränkten Produkten von den Onlinehändlern sowohl vor dem Kaufabschluss als auch bei der Auslieferung geprüft werden, ob der Kunde die erforderliche Altersgrenze erreicht habe. Dies könne beispielsweise durch eine Ausweiskontrolle, eine Abfrage über spezielle Altersverifikationsdienste oder andere zuverlässige Methoden erfolgen.
Ärzteschaft fordert von der Bundesregierung mehr Engagement bei Gesundheitsförderung und Prävention
Die Ärztekammer Nordrhein fordert vom Gesetzgeber mehr Engagement bei Gesundheitsförderung und Prävention sowie eine Überarbeitung des geltenden Präventionsgesetzes. Der Prävention kommt in einer Gesellschaft des langen Lebens und eines bestehenden Fachkräftemangels im Gesundheitswesen eine besondere Rolle zu, um langfristig Kosten zu senken, Mobilität und Eigenständigkeit bis ins hohe Alter zu fördern und Pflegebedürftigkeit zumindest hinauszuzögern.
Die Kammerversammlung fordert konkret
- eine Stärkung der Verhältnisprävention (z. B. durch den Aufbau gesunder Lebenswelten von der Kita, Schule, Arbeitswelt bis zum Seniorenheim), um nichtübertragbare Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Adipositas einzudämmen. Beispiel: Gesunde Ernährung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sollten ebenso wie tägliche zielgruppenspezifische Bewegungsangebote in allen Gemeinschaftseinrichtungen Standard und nicht Ausnahme sein.
- den Ansatz von „Health in All Policies" (HiAP) im Regierungshandeln umzusetzen. Grundsätzlich sollten die Auswirkungen von Entscheidungen/Gesetzen auf die Gesundheit in allen Politikbereichen berücksichtigt werden.
- das seit zehn Jahren bestehende Präventionsgesetz zu überarbeiten und dafür zu sorgen, dass eine überprüfbare Präventionsstrategie unter Einbeziehung aller Akteure erarbeitet sowie eine Vernetzung der medizinischen Präventionsangebote mit Maßnahmen in den Lebenswelten der Menschen, mit Vor-Ort-Projekten und sozialen Hilfen ermöglicht wird.
- dafür Sorge zu tragen, dass der ÖGD, als zentraler Akteur der kommunalen Gesundheitsförderung, auch nach Auslaufen des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, seinen Aufgaben im Bereich der Prävention und Infektionsbekämpfung auf aktuellem Stellenniveau nachkommen kann.
Gleichbehandlung bei der Umsetzung und Honorierung von präventiven Leistungen
Die Kammerversammlung fordert den Gesetzgeber und die Krankenkassen auf, dass identische präventive Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach einheitlichem Standard durchgeführt und auch bezahlt werden.
Schutz vor unqualifizierter Gesundheitsberatung
Die Kammerversammlung fordert die Politik, die zuständigen Ministerien und die Medienaufsicht auf, gesetzliche Regelungen zum Schutz der Patientinnen und Patienten vor unqualifizierter Gesundheitsberatung zu schaffen – vergleichbar mit der Regulierung der Rechtsberatung. Gesundheitsberatung darf nur durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte erfolgen und muss einer überprüfbaren Verantwortlichkeit unterliegen.
Unterrichtsfremde Nutzung von mobilen Endgeräten in Schulen untersagen
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein spricht sich für die gesundheitlich und pädagogisch sinnvolle Nutzung von digitalen Medien aus. Eine übermäßige Nutzung digitaler Medien birgt erhebliche Gefahren für die Gesundheit und die Lernentwicklung von Kindern und Heranwachsenden.
Die Kammerversammlung empfiehlt daher die unterrichtsfremde Nutzung mobiler Endgeräte wie Smartphone, Tablets und Smartwaches an Schulen zu reduzieren, möglichst auf null.
Ergänzend fordert die Kammerversammlung die verstärkte Sensibilisierung, Edukation und Aufklärung von Schülerinnen und Schülern über die gesundheitlichen Folgen exzessiven Medienkonsums – etwa psychische und körperliche Beeinträchtigungen, Sozial-, Bindungs- und Sprachentwicklungsstörungen, Minderung der Konzentrationsleistung sowie Risiko für Mediensucht. Weiterhin wird die Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen als essentieller Bestandteil der Prävention und Gesundheitsförderung empfohlen, um einen reflektierten und verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien zu fördern.
Forderung nach einem gewissenhaften Umgang mit digitalen Bildschirmmedien an den Schulen in NRW
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Initiative des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Konzepte für eine von digitalen Bildschirmmedien freie Schule, außerhalb einer gewissenhaft geplanten Nutzung im Rahmen des Unterrichts, zu entwickeln.
Ziel ist es, den in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen physischen und psychischen Schädigungen, die durch Nutzung digitaler Medien entstehen, präventiv entgegenzuwirken. Ein weiteres Ziel ist es, soziale Interaktionen von Schülerinnen und Schülern und deren Lern- und Konzentrationsfähigkeiten zu verbessern.
Unterlassene Verhältnisprävention macht Patienten krank und belastet das Gesundheitssystem
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert von der Politik nachprüfbar wirksame Prävention von Armut und benachteiligenden Verhältnissen.
Es ist eine präventionsmedizinische Binsenweisheit, dass der Effekt der Individualprävention von Gesundheit im Vergleich zur Verhältnisprävention sehr begrenzt ist. Die immer wieder geführte Klage, das deutsche Gesundheitssystem sei zu teuer während gleichzeitig die Lebenserwartung nicht erwartungsgemäß gestiegen ist, gehört auf den Schreibtisch der Politik. Nur dann wird sich der drohende Kollaps des deutschen Gesundheitssystems abwenden lassen. Armut und benachteiligende Verhältnisse der Patienten sind die Ursache für hohe Kosten im Gesundheitswesen, zu viele Krankenhausliegetage, zu viel Arztzeitverbrauch, vermeidbare Erkrankung, sowie vorzeitigen Tod.
Handlungsbedarf für ein resilienteres Gesundheitswesen
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die politischen Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene sowie die Institutionen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen auf, das Gesundheitswesen strukturell und organisatorisch so weiterzuentwickeln, dass es auch in Krisensituationen – etwa bei Pandemien, Auswirkungen des Klimawandels, militärischen Konflikten oder Versorgungskrisen – handlungs- und anpassungsfähig sowie solidarisch bleibt.
Zur Erhöhung der Resilienz des Gesundheitswesens fordert die Kammerversammlung insbesondere die Umsetzung folgender Maßnahmen:
1. Verbindliche Koordinationsstrukturen auf allen Ebenen
Um klare Verantwortlichkeiten, eingespielte Zusammenarbeit und schnelle Entscheidungsfähigkeit in Krisensituationen sicherzustellen, sind:
- die rechtliche Verankerung und die Anschlussfähigkeit von Organisationsstrukturen zur Koordinierung des Gesundheitswesens auf kommunaler, regionaler, Landes- und Bundesebene,
- die regelmäßige Abstimmung und Übung dieser Strukturen und Verfahren insbesondere außerhalb von Krisen und
- die Einbindung aller relevanten Akteure in die Planung, die Prozesssteuerung sowie die Umsetzung, insbesondere der Krankenhäuser, des Rettungsdienstes, des Katastrophenschutzes, der kassenärztlichen Vereinigungen, der Krankenhausgesellschaft, der Gesundheitsbehörden, der Pflegeeinrichtungen, der Ärztekammern und der weiteren Heilberufskammern
erforderlich.
Diese Akteure sollen im Krisenfall schnell und effizient Entscheidungen auf den zutreffenden Ebenen im jeweiligen Verantwortungsbereich treffen und Ressourcen koordinieren können. Durch die Ärztekammern wird eine gebündelte Einbindung der medizinischen Expertise gewährleistet.
Im Hinblick auf die Einbindung in die Landes- und Bündnisverteidigung sind reaktionsfähige Strukturen die Voraussetzung für die Übernahme von Aufgaben im Kontext einer Gesamtverteidigung, die als gesamtstaatliche und -gesellschaftliche Aufgabe aufgefasst wird.
2. Personaloffensive und Gesundheitsreserve mit sozialer Absicherung
Zur Sicherung einer ausreichenden Personalausstattung und der damit verbundenen Handlungsfähigkeit erfordert es:
- Programme zur Ausbildung, Rückgewinnung und Bindung medizinischer Fachkräfte,
- den Aufbau eines Gesundheitsreserve-Pools für den Krisenfall, bestehend u. a. aus Mitarbeitenden der GKV und des MD, sowie
- begleitende gesellschaftliche Entlastungsmaßnahmen der medizinischen Fachkräfte wie Notbetreuung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige, um einen Einsatz im Krisenfall zu ermöglichen.
3. Strategische Arzneimittel- und Materialreserven
Zur Sicherstellung der Versorgung vor dem Hintergrund globaler Lieferkettenstörungen erfordert es:
- den Aufbau nationaler und dezentraler Reserven für kritische Medizinprodukte und Arzneimittel, Schutz- und Labormaterialien auch in Kliniken, Vor-Ort-Apotheken und Praxen,
- eine Abkehr vom Just-in-Time-Prinzip in der Lagerhaltung,
- wirtschaftliche Ausgleichsmechanismen für zusätzliche Lagerhaltung,
- die Förderung europäischer Produktionsnetzwerke für kritische Güter,
- den Aufbau regionaler Versorgungsstrukturen sowie
- eine strukturelle Lösung der Verfalldatenproblematik durch eine Anpassung des gültigen Arzneimittelgesetzes.
4. Digitale Echtzeit-Infrastruktur und nationale Kapazitätsplattform
Für eine effektive Steuerung und Transparenz im Gesundheitswesen erfordert es:
- den Aufbau einer nationalen Kapazitätsplattform, die auch im Normalbetrieb täglich und flächendeckend genutzt wird,
- die Möglichkeit, im Krisenfall schnell zusätzliche Parameter zu erfassen (z. B. Personalstand, Materialverfügbarkeit, regionale Belastungen, freie Intensivbetten),
- eine begrenzte Zahl praxistauglicher Kernindikatoren im Regelbetrieb, die auch für Rettungsdienste und Leitstellen einen operativen Mehrwert haben,
- eine Erweiterung der Indikatoren bei saisonalen Belastungen unterhalb der Krisenschwelle (z.B. Anzahl von Patienten mit Atemwegsinfektion differenziert nach Erreger und Schweregrad).
5. Resilienzfonds und Finanzierung
Zur kurzfristigen Bereitstellung von finanziellen Mitteln in Krisenlagen wird die Einrichtung eines Resilienzfonds gefordert. Damit sollte eine zweckgebundene Abrufbarkeit für Personalreserven, Materialbeschaffung, Infrastrukturmaßnahmen und soziale Entlastungsstrukturen ermöglicht werden.
6. Cybersicherheit
Die zunehmende Digitalisierung der medizinischen Versorgung und die damit verbundene hochsensible Datengrundlage erhöhen die Angriffsflächen für Cyberbedrohungen und können im schlimmsten Fall zu Systemausfällen und damit auch zu Versorgungsunterbrechungen führen. Daher erfordert es neben dem Schutz digitaler Systeme den Aufbau von redundanten Strukturen in allen relevanten Einrichtungen des Gesundheitswesens, die eine Behandlung auch beim Ausfall der Telematik-Infrastruktur, des Internets oder der lokalen medizinischen Informationssysteme gewährleisten. Darüber hinaus ist es notwendig, auch über das Gesundheitswesen hinaus Forschungs- und Innovationsprojekte im Bereich der krisenfesten IT-Sicherheit zu fördern und alle IT-Anwender durch regelmäßige Schulungen zu sensibilisieren.
7. Transparenz/Sensibilisierung
Essentiell für ein resilientes Gesundheitswesen ist zudem, dass das medizinische Personal für alle besonders in Krisenzeiten relevanten Aspekte, darunter Kommunikationsstrukturen, den Abruf von Reservekapazitäten und Cybersicherheit, bereits jetzt regelmäßig sensibilisiert und geschult wird. Wichtig ist hierbei auch die Schaffung von Angeboten zur Psychosozialen Kompetenzerweiterung für MFA und Hilfspersonal. Neben der Sensibilisierung der in Krisenzeiten direkt relevanten Akteure, ist die Stärkung der Gesundheitskompetenz und des Wissens über Abläufe in Krisenzeiten in der gesamten Bevölkerung unabdingbar.
Keine Einstellung von Abrechnungsdaten in die elektronische Patientenakte durch die gesetzlichen Krankenkassen
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert vom Gesetzgeber, dass das automatisierte, ungeprüfte Einstellen von Abrechnungsdaten durch die Krankenkassen in die Patientenakte beendet wird.
Abrechnungsdaten sollen wie zuvor nur den Betroffenen selbst auf Wunsch zur Verfügung gestellt werden. Das automatisierte Einstellen von Abrechnungsdaten in die elektronische Patientenakte (ePA) durch Krankenkassen kann sich erheblich nachteilig für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger und Patientinnen und Patienten auswirken.
Es werden teils jahrzehntealte sensible Krankheitsdaten von den Krankenkassen in die ePA hochgeladen, auch wenn die Betroffenen bei ihren Ärztinnen und Ärzten dem Hochladen von sensiblen Krankheitsdaten ausdrücklich widersprochen haben! Dadurch werden diese Daten ohne Wissen der Betroffenen und trotz eines Widerspruchs für Leseberechtigte einsehbar. Ganz besonders betroffen sind davon Kinder und Jugendliche und alle Patienten mit vererbten, psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychosomatischen Diagnosen oder Verdachtsdiagnosen.
Ein weiteres, gravierendes Problem ist, dass die Ablehnung einer individuellen ePA bei einem Kassenwechsel stets explizit neu erfolgen muss, weil die neue Kasse sonst stets eine neue Patientenakte anlegt. Dieses Faktum ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Kein sanktionsbewehrter Zwang zur Befüllung der ePA
Seit dem 1. Oktober 2025 ist es Vertragsärzten und –ärztinnen gesetzlich auferlegt, die elektronische Patientenakte (ePA) zu befüllen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist sanktionsbewehrt.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein lehnt den Zwang zur Befüllung der ePA aufgrund der technischen und konzeptionellen Unzulänglichkeiten und wegen möglicher Datenschutzrisiken ab.
Das SGB V soll entsprechend geändert werden. Darüber hinaus ist eine umfassende Aufklärung sowohl der Ärztinnen und Ärzte als auch der Patientinnen und Patienten über die Risiken und möglichen Datenschutzprobleme bei Nutzung der ePA notwendig. Einschlägig gesetzliche Aufklärungs- und Informationspflichten sind auch im SGB V § 347 Abs. (3) und (4) normiert.
Ärztliche Fernbehandlung ist kein gleichwertiger Ersatz für die persönliche Behandlung durch einen Arzt / eine Ärztin
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein stellt klar, dass eine ärztliche Fernbehandlung nur in Ausnahmefällen und mit Einschränkungen statthaft ist. Dies ist auch in § 7 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte normiert.
Der gute ärztliche Behandlungsstandard bleibt die persönliche Behandlung des Patienten / der Patientin durch den Arzt / die Ärztin. Dieser Sachverhalt soll von der Ärztekammer Nordrhein gegenüber Öffentlichkeit, Politik, Krankenkassen, Krankenversicherungen und kommerziellen Akteuren klar kommuniziert und vertreten werden.
Weiterbildung stärken – gesetzlich verankern, strukturell sichern
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein nimmt die Auswirkungen der nordrhein-westfälischen Krankenhausreform und der zunehmenden Ambulantisierung auf die Weiterbildung in den Blick.
Strukturierte Weiterbildung ist ein zentraler Bestandteil medizinischer Qualitätssicherung und Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen. Sie erfordert Zeit, Engagement, finanzielle Förderung, und vor allem – klare gesetzliche Rahmenbedingungen.
Vor diesem Hintergrund betonen wir die Bedeutung folgender Aspekte:
- Die Ärztliche Weiterbildung muss sicherer Bestandteil der Krankenhausreform sein. Andernfalls ist die aktuelle Organisation der Weiterbildung und die zukünftige fachärztliche Versorgung in Gefahr. Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung brauchen transparente und verlässliche Weiterbildungsmöglichkeiten im stationären und ambulanten Bereich.
- Die Kooperationsmöglichkeit zur Erfüllung der Qualitätsvoraussetzungen von Leistungsgruppen sollte verpflichtend auch die Möglichkeit der Weiterbildungsrotation zwischen den Häusern festlegen. Damit eine Arbeitnehmerüberlassung kein Hindernis für die Umsetzung von Weiterbildungsverbünden ist, bedarf es dringend einer Ausnahme von der Erlaubnispflicht in § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) für Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung.
- Die Ärztekammer Nordrhein unterstützt aktiv den Aufbau und die Zertifizierung regionaler, standort- und sektorenübergreifender Weiterbildungsverbünde. Hierzu können z. B. digitale Vernetzungsportale eingerichtet werden.
- Die Kliniken sind aufgefordert, ihren Weiterbildungsauftrag wahrzunehmen und sich in Weiterbildungsverbünde und Kooperationen einzubringen.
- Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Weiterbildung bei der Personalbemessung zu berücksichtigen, z. B. durch Anwendung des ärztlichen Personalbemessungssystems der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK), wie im KHVVG vorgesehen.
- Der Gesetzgeber ist aufgefordert, sämtliche Mehrkosten, die mit der Weiterbildung verbunden sind, fristgerecht, konsequent und sachgerecht zu finanzieren.
- Die inhaltliche Gestaltungshoheit über die ärztliche Weiterbildung muss uneingeschränkt bei den Landesärztekammern verbleiben. Eine externe Finanzierung darf nicht zu einer politischen oder wirtschaftlichen Einflussnahme auf die Inhalte führen.
Stärkung des Facharztstandards in der Psychiatrie
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein soll sich für eine Stärkung des Facharztstandards in der Psychiatrie, auch unter Berücksichtigung der neurologischen, allgemein-somatischen und psychotherapeutischen Kompetenz, einsetzen.
Ziel ist es, die psychiatrische und neurologische Versorgung langfristig so auszurichten, dass sie sowohl den qualitativen Anforderungen der Weiterbildung, der medizinischen Versorgung, als auch den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten gerecht wird. Von zentraler Bedeutung bleibt dabei die Sicherstellung des fachärztlichen Standards und damit auch die Gewährleistung einer qualitativ adäquaten Versorgung, die sowohl die Somatik als auch die Psyche gleichermaßen berücksichtigt. Die ärztliche Expertise bleibt insbesondere dort erforderlich, wo psychische und somatische Erkrankungen ineinandergreifen, sowie bei der medikamentösen Intervention und Behandlung. Im Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern muss auf die besonderen Herausforderungen, die aus den aktuellen Strukturveränderungen im stationären Sektor resultieren, hingewiesen werden.
Die Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und zum Facharzt für Neurologie müssen sich überschneiden
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert, dass in der Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie sowie in der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie eine 12-monatige Kenntniserweiterung im jeweils anderen Gebiet verpflichtend bleibt.
Anerkennung der zweifachen Qualifikation von ärztlichen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein bekräftigt die doppelte Qualifikation der ärztlichen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Psychotherapeutisch tätige Ärztinnen und Ärzte sind aufgrund ihres abgeschlossenen Medizinstudiums zunächst Ärztinnen und Ärzte, bevor sie z. B. eine Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt/Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt/Fachärztin für Nervenheilkunde und/oder eine Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie absolviert haben.
Die Diagnose und Unterscheidung von Erkrankungen, die sowohl körperliche als auch psychische Symptome zeigen, erfordert medizinische Fachkompetenz. Diese Kombination besitzen ausschließlich ärztliche Psychotherapeuten durch ihre doppelte Qualifikation als Arzt und Psychotherapeut.
Die Verschreibung von Medikamenten, die Abwägung von medikamentösen Wechselwirkungen oder die Auswirkung psychiatrischer Medikamente auf somatische Grunderkrankungen, die Überweisung zu anderen Fachdisziplinen oder die Erstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) kann nicht ohne ärztliche Kompetenz erfolgen.
Die somatische Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte aus den o. g. Fachgebieten während ihrer fachärztlichen Weiterbildung, insbesondere im neurologischen Fachgebiet, ist zwingend notwendig aufgrund der Überschneidung zwischen neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern.
Förderung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung zum Thema Künstliche Intelligenz in der Medizin
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert, das Thema "Künstliche Intelligenz in der Medizin" verbindlich in die ärztliche Aus- und Weiterbildung zu integrieren. Ärztinnen und Ärzte sollen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung befähigt werden, Chancen und Risiken von KI-Anwendungen differenziert zu bewerten und rechtssicher im klinischen Alltag einzusetzen.
Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen sichern
Die Ärztekammer Nordrhein fordert die Landesregierung und die Krankenhausbetreiber zu einer engmaschigen und qualifizierten Kontrolle der Umsetzung der maßgeblichen Rechtsvorschriften des Krankenhaus- und Berufsrechts auf, damit Ärztinnen und Ärzte in allen fachlichen Entscheidungen unabhängig und frei von unzulässiger ökonomischer oder ideologischer Einflussnahme handeln können.
An diese Vorgaben haben sich die Krankenhausträger zu halten. Insbesondere Weisungsbefugnisse, Anreizsysteme und vertragliche Regelungen sind nur insoweit hinnehmbar, als sie den entsprechenden Vorgaben des Landeskrankenhausrechts entsprechen und die in unserer Berufsordnung festgelegte ärztliche Entscheidungsfreiheit dauerhaft gewährleistet bleibt. Ärztliche Entscheidungen sind originäre ärztliche Aufgaben und erfordern Fachwissen, ethisches Verständnis und die Orientierung am Wohl der Patientinnen und Patienten. Dieses Prinzip wird zunehmend durch wirtschaftliche Vorgaben und ideologische Einflussnahmen gefährdet.
Förderung der Aufklärung, Prävention und Unterstützung der Betroffenen bei Diskriminierung, Rassismus, sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im ärztlichen Umfeld
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein beschließt, dass die Ärztekammer Nordrhein ihre Aktivitäten und Maßnahmen zur Aufklärung, Prävention und Unterstützung von Betroffenen in Fällen von Diskriminierung, Rassismus, sexueller Belästigung, sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in Krankenhäusern, Praxen und anderen ärztlichen Arbeitsbereichen deutlich verstärken soll.
Dafür sollen insbesondere folgende Maßnahmen berücksichtigt werden:
- Ausbau der bestehenden Anlaufstelle der Ärztekammer Nordrhein für Ärztinnen und Ärzte, die Diskriminierung, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch oder Rassismus erfahren oder beobachten. Zusätzlich soll die Etablierung einer niederschwelligen Meldeplattform bei der Ärztekammer Nordrhein geprüft werden.
- Aktive Informationskampagne zur Aufklärung über bestehende Beratungsstellen und Handlungsoptionen innerhalb und außerhalb der Ärztekammer (z. B. Informationsveranstaltungen in den Kreisstellen, Informationsangebote auf der Internetseite der Ärztekammer Nordrhein, z. B. auch bei den Informationen zur Weiterbildung, Informationskampagne im Rheinischen Ärzteblatt, etc.).
- Fort- und Weiterbildungsangebote zu den Themen Antidiskriminierung, Prävention sexualisierter Gewalt und ethische Führungsverantwortung in ärztlichen Hierarchien. Insbesondere Weiterbildungsbefugte und Ärztinnen und Ärzte in Führungspositionen sollten für diese Thematik sensibilisiert werden (z. B. durch Integration der Thematik in die Kursformate der ÄkNo für die Weiterbildungsbefugten).
- Integration der Thematik in die ärztliche Aus- und Weiterbildung und Berufsethik durch Empfehlungen an Universitäten und Weiterbildungsstätten, entsprechende Inhalte in ihre Lehrpläne und Weiterbildungspläne mit aufzunehmen.
- Abhängigkeitsverhältnisse in der Weiterbildung reduzieren Prüfung der Möglichkeit, die Weiterbildungsbefugnis einer Weiterbildungsstätte auf mehrere Personen zu verteilen, um die Abhängigkeiten und damit bestehenden Gefahren des Machtmissbrauches zu reduzieren.
- Regelmäßige Berichterstattung an die Kammerversammlung über den Stand der Maßnahmen und die Zahl bzw. Art der bearbeiteten Fälle (anonymisiert und datenschutzkonform), z. B. analog des Berichtes der Gutachterkommission.
Thesenpapier für Respekt und Kollegialität in der Gesundheitsversorgung und für die ärztliche Weiterbildung
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert eine zeitgemäße Arbeits- und Führungskultur in allen Gesundheitseinrichtungen und formuliert folgende aktuelle Leitsätze, im Einklang mit dem Genfer Gelöbnis:
- Kollegialität als Grundpfeiler ärztlicher Ethik
Wir begegnen unseren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen und nicht-ärztlichen Mitarbeitenden mit demselben Respekt, den wir für unsere Patientinnen und Patienten aufbringen. Ein respektvolles und unterstützendes Miteinander fördert die Sicherheit für Patientinnen und Patienten und unsere eigene berufliche Entwicklung. Wir verpflichten uns, respektvolles Verhalten aktiv vorzuleben und fordern dies auch von unserer Umgebung, von Vorgesetzten und Trägerstrukturen. - Wissen teilen statt Hierarchien festigen
Erfahrung und Wissen sollten systematisch und fair weitergegeben werden. Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sind auf ehrliche, didaktisch wertvolle Supervision angewiesen. Wer sein Wissen teilt, stärkt nicht nur seine Kolleginnen und Kollegen, sondern auch das gesamte Gesundheitssystem. Dazu fordern wir feste Zeitfenster und institutionelle Rahmenbedingungen für Supervision, Lehre und strukturiertes Feedback. - Schutz vor Diskriminierung und Machtmissbrauch
Respekt und Hierarchie sind keine Gegensätze. Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Krankheit, Religion, Herkunft oder Status ist mit unserer ärztlichen Ethik unvereinbar. Machtmissbrauch und toxische Arbeitskulturen müssen aktiv adressiert und unterbunden werden. - Sicherheitskultur statt Schuldzuweisungen
Fehler sind menschlich – und wir müssen sie als Gelegenheit zur gemeinsamen Reflexion und Verbesserung nutzen. Schuldzuweisungen und eine Kultur der Angst hingegen gefährden die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und belasten das Arbeitsklima. Daher treten wir als Ärztinnen und Ärzte für eine offene Fehlerkultur anstatt angstbesetzter Schuldzuweisungen ein. - Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte ist Voraussetzung für gute Medizin Chronische Überlastung und Erschöpfung gefährden nicht nur uns, sondern auch
unsere Patientinnen und Patienten. Wir fordern und fördern eine Arbeitskultur, die die nötige Erholung und psychische sowie physische Gesundheit als essenziellen Bestandteil ärztlicher Professionalität anerkennt. Dazu gehören verbindliche Ruhezeiten, verlässliche Dienstpläne und ein Ende systematischer Überlastung. - Offenheit für Feedback – in alle Richtungen
Feedback ist keine Einbahnstraße: Nicht nur Weiterzubildende, sondern auch erfahrene Ärztinnen und Ärzte profitieren von Rückmeldungen. Wir schaffen eine Kultur, in der angemessenes, konstruktives Feedback und Evaluation erwünscht sind und keine Repressalien dafür befürchtet werden müssen. - Fairness in Karrierewegen und Anerkennung
Gleiche Leistung verdient gleiche Wertschätzung. Beförderungen, Forschungsförderungen und Weiterbildungen müssen nach Kompetenz und Engagement vergeben werden – nicht nach persönlicher Nähe zu Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern. - Medizin ist Teamarbeit, nicht Konkurrenz
Gute Medizin entsteht im Austausch, nicht im Wettbewerb. Respekt und Kooperation unter Kolleginnen und Kollegen sind die Basis für eine patientenzentrierte Versorgung und eine erfüllende ärztliche Laufbahn. Wir bekennen uns ausdrücklich zur Interprofessionalität: Ärztliche Arbeit gelingt nur im engen Schulterschluss mit Pflegefachpersonen, Hebammen, PhysiotherapeutInnen, ErgotherapeutInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen und weiteren Gesundheitsberufen.
Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen strukturieren und Kompetenzen berücksichtigen
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein nimmt die Integration neuer Berufe in der Gesundheitspolitik und Ideen zu alternativen Anlaufstellen in Bezug auf die interprofessionelle Zusammenarbeit in den Blick: die Notwendigkeit zur gemeinsamen Verständigung über eine Aufgabenteilung zwischen der Ärzteschaft und weiteren Gesundheitsfachberufen ist unstrittig und zur Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit essentiell. Eine entsprechende Zuordnung sollte zeitnah und kompetenzbasiert im gemeinsamen Dialog angegangen werden.
Hierbei sind zu berücksichtigen:
- Berufsordnung, Zuständigkeit und Verantwortlichkeit: ärztliche Entscheidungen sind originäre ärztliche Aufgaben und erfordern Fachwissen, ethisches Verständnis und die Orientierung am Wohl der Patientinnen und Patienten.
- Die Prämisse "Delegation statt Substitution": bei allem Verständnis für wirtschaftliche Effizienz ist hier mit Augenmaß vorzugehen und sind die Konsequenzen vorab zu bedenken.
- Das gemeinsame Ziel eines "konstruktiven Miteinanders" ohne Friktionen in der Zuständigkeit. Nur gemeinsam können wir die aufkommenden Herausforderungen meistern.
5-Punkte-Plan zur Abwendung der systemischen Erschöpfung
Die gesundheitspolitisch Verantwortlichen mögen folgenden 5-Punkte-Plan zur Abwendung der systemischen Erschöpfung des stationären Gesundheitswesen umsetzen:
- Handeln nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist in Anbetracht begrenzter Ressourcen für alle Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich und verpflichtend. Jedoch anstatt derzeit marktwirtschaftlicher Ausrichtung des stationären Gesundheitssektors brauchen wir eine Ausrichtung unseres solidarisch finanzierten Gesundheitssystems im Sinne einer Daseinsökonomie.
- Profitorientierte Konzerne, die Renditen mit der Versorgung von Kranken oder Pflegebedürftigen erwirtschaften, oder Dividenden ausschütten oder in Private equity organisierte Versorgungsformen stehen in dieser Form dem Solidargedanken entgegen. Daher sind diese Betriebsformen in unserem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen nach Möglichkeit abzuschaffen.
- Systemisch bedingte Fehlanreize beeinflussen zunehmend die Entscheidungsfindung von Ärztinnen und Ärzten. Diese Fehlanreize führen zu Fehlsteuerungen in der Versorgung von Patientinnen und Patienten und müssen abgeschafft werden. Damit sind Handlungsanreize gemeint, die der Kommerzialisierung Vorrang einräumen und dem professionsethischen Handeln der Ärztinnen und Ärzte entgegenstehen können.
- Patientenversorgung darf nicht an Sektorengrenzen scheitern, daher müssen diese überwunden werden.
- Jegliche gesundheitspolitischen Gesetzesvorhaben müssen auf ihre Bürokratielast und ihre Personalerfordernis überprüft und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Derzeitige bürokratische Lasten im Krankenhaus sind zu detektieren und abzubauen.
Transparenz bei der Zahl der vorhandenen elektronischen Patientenakte (ePA)
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert das Bundesgesundheitsmininsterium und die gematik auf, die der Zahl der tatsächlich vorhandenen elektronischen Patientenakten (ePA) wieder zu veröffentlichen. Die gematik hatte diese Information bis zum 03.03.2025 täglich im Telematikinfrastruktur-Dashboard angezeigt. Diese Maßnahme für mehr Transparenz bei der Digitalisierung in der Medizin, wäre also ohne jeden Aufwand jederzeit wieder möglich. Deshalb ist kein Grund erkennbar, warum die Zahl der vorhandenen elektronischen Patientenakten (ePA) nicht wieder umgehend einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden könnten.
Assistierter Suizid darf nicht zur Normalität werden
In seinem Urteil vom Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben und den Anspruch darauf, sich hierfür der Hilfe Dritter zu bedienen, vorgegeben. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Politik auf, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die ausschließen, dass die Entscheidung eines Menschen zum Suizid und die Assistenz zu dessen Durchführung durch finanzielle oder ideelle Anreize beeinflusst wird.
Die Politik wird aufgefordert, für Menschen in derart existentiellen Lebenskrisen ausreichende und niederschwellige Hilfs- und Unterstützungsangebote bereitzustellen, die verhindern können, dass ein Weiterleben in der gegenwärtigen Situation den suizidalen Menschen unerträglich erscheint.
Verlässliche medizinische Vorsorge und Versorgung der Zivilbevölkerung sowie von Kriegsverletzten im Krisen- und Kriegsfall
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert, dass Bund und Land Nordrhein-Westfalen die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen, um eine verlässliche medizinische Vorsorge und Versorgung der Zivilbevölkerung sowie gegebenenfalls von Kriegsverletzten im Krisen- und Kriegsfall sicherzustellen. Hierzu sind ausreichende Ressourcen für die ambulante und stationäre medizinische Infrastruktur, die Bevorratung von Medikamenten und medizinischem Material, die Ausbildung von medizinischem Personal für Krisensituationen sowie die Schaffung koordinierender Strukturen erforderlich.

