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25. Euskirchener Gespräch: Kulturelle Ressourcen in Zeiten der Pandemie


Über gesundheitliche und gesellschaftliche Grenzerfahrungen, den Umgang mit dem Tod und die Nutzung kultureller Ressourcen in Zeiten der Pandemie sprachen der Euskirchener Neurologe und Psychiater Dr. Hubertus Rüber und Dr. Christian Köhne, geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein, mit ihren illustren Gästen der 25. Euskirchener „Gespräche“. Zur Diskussion geladen waren der Schriftsteller, Orientalist und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Professor Dr. Navid Kermani, und der Karl-Jaspers Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg, Thomas Fuchs. Fast 300 Zuschauer verfolgten das Online-Symposium an den heimischen Bildschirmen und beteiligten sich im Chat rege an der Diskussion.

Was ist das Besondere an Kulturerleben und welche Ressourcen bietet Kultur in ihren verschiedensten Ausprägungen gerade während der Pandemie, die gekennzeichnet ist von Grenzerfahrungen und dem Verlust von Sicherheit und Orientierung?

„Die Ressourcen von Kultur für Mensch und Gesellschaft schaffen einen Spielrahmen, in dem wir gerade auch mit dem Dunklen in uns umgehen und Emotionen ausleben. Die Kunstwelt ist eine Gegenwelt, in der all das möglich ist, im Positiven wie im Negativen, was potenziell im Leben passieren kann“, führte Professor Kermani aus. „Kultur ist der Umgang mit all dem Monströsen, Wunderbaren, Spektakulären und nicht Fassbaren, das zu einem Leben dazugehört. Wenn das Leben immer so glatt verlaufen würde, wie wir es in unserer hochtechnisierten Welt meistens erleben, gäbe es irgendwann keine Kultur mehr, denn diese entsteht gerade aus solchen Situationen und Grenzerfahrungen. In der Musik besteht jede Komposition immer auch aus dem, was wir in dem Moment nicht erwarten und was die Harmonie kurzzeitig stört.“

Für Professor Thomas Fuchs ist Kultur die Möglichkeit des Menschen, sich über das Konkrete, Bestehende, Faktische hinauszubewegen. „Kultur ist ein großes „Als ob“, die Fähigkeit, die Wirklichkeit, das Normale, Alltägliche und Ökonomische einzuklammern und sich andere Welten vorzustellen und sich in die Protagonisten hineinzuversetzen. All das führt über die bloße Gegenwart hinaus. Es wäre sehr unklug, wenn wir darauf verzichten würden, weil wir eine zentrale Ressource für die Zukunft verlieren würden.“

Dr. Ulrike Schaeben