Gutachterkommission: Neue Verfahrensordnung hat sich bewährt
aktueller Tätigkeitsbericht
Patientinnen und Patienten wenden sich seit mehr als 45 Jahren mit Fragen nach einem Behandlungsfehler an die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. In dieser Zeit sind über 60.000 Begutachtungsanträge gestellt worden. Für das aktuelle Berichtsjahr 2020/2021 blickt diese unabhängige Einrichtung bei der Ärztekammer Nordrhein auf eine erfolgreiche Umsetzung der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen neuen Verfahrensordnung für die Durchführung der Begutachtungsverfahren zurück.
Komplikationen und unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung belasten Patientinnen und Patienten, deren Angehörige und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein unterstützt Betroffene seit der Gründung der Kommission im Jahre 1975 bei der außergerichtlichen Klärung eines fraglichen Behandlungsfehlers und entwickelt ihre Expertise hierfür laufend weiter.
Mit der Verabschiedung der im vergangenen Berichtsjahr am 1.12.2020 in Kraft getretenen Verfahrensordnung auf der Grundlage der auf Bundesebene erarbeiteten Rahmenverfahrensordnung hat die Kammerversammlung im März 2020 einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung des Wirkens der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen in Deutschland getan. Damit hat das Angebot der außergerichtlichen Streitschlichtung für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten in Nordrhein eine zukunftsweisende Weiterentwicklung erfahren, ohne dass auf bewährte Strukturen verzichtet wurde.
Wie in vielen anderen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen wurden die Haftpflichtversicherer und die Behandlungseinrichtung, für welche die Ärztin oder der Arzt tätig geworden ist, zum Bespiel Krankenhäuser oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als Arbeitgeber, in den Kreis der Verfahrensbeteiligten aufgenommen. Der verfahrenseinleitende Antrag kann allerdings wie bisher nur von den Patientinnen und Patienten oder durch die in Anspruch genommenen Ärztinnen und Ärzte gestellt werden.
Auch wird weiterhin ein Verfahren durchgeführt, wenn sich die Ärztin oder der Arzt – in der Regel aufgrund eines Widerspruchs der Haftpflichtversicherung oder des Krankenhauses – nicht am Verfahren beteiligt und die Kommission begründete Aussichten für eine Streitbeilegung sieht.
Zweistufiges Verfahren beibehalten
Über die Jahre gesehen begegnen die Beteiligten den ersten Begutachtungsergebnissen in etwa vier von zehn Fällen mit medizinischen und auch juristischen Bedenken, denen die Kommission durch eine oft komplexe Zweitbegutachtung gerecht wird. Die Erstattung eines abschließenden gemeinsamen Gutachtens durch ein medizinisches und ein juristisches Kommissionsmitglied bleibt daher ebenfalls fester Bestandteil des Verfahrens vor der Gutachterkommission.
Mit Blick auf die neue Verfahrensordnung hat die Gutachterkommission im Juli 2021 eine Neuauflage ihrer Informationsbroschüre für Patientinnen und Patienten und deren Angehörige veröffentlicht. Sie informiert Betroffene darüber, wie sie vorgehen können, wenn sie vermuten, dass ihre Ärztin oder ihr Arzt sie falsch behandelt hat und dadurch ein Gesundheitsschaden eingetreten ist.
Wandel im Zeichen von Corona
Auch im aktuellen Berichtszeitraum (1.7.2020 bis 30.6.2021) prägten die erweiterten Kontaktbeschränkungen zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung von SARS-CoV-2 die Arbeit der Gutachterkommission und ihrer Geschäftsstelle. So waren Präsenzveranstaltungen nicht möglich. Dies betraf auch die Zusammenkünfte des Plenums der Kommission, die bis dahin alle zwei Monate stattfanden und demintensiven, fallbezogenen Austausch der medizinischen und juristischen Kommissionsmitglieder untereinander dienten. Ab Sommer 2020 wurden diese Sitzungen zu überwiegend monatlich stattfindenden Live-Online-Veranstaltungen umgestaltet, in denen juristische und medizinische Kommissionsmitglieder Begutachtungsfälle und Fallkonstellationen, oftmals auch mit Blick auf die sich aus dem Behandlungsfall ergebenden Rechtsfragen, erläuterten und zur Diskussion stellten.
An jeder dieser Online-Sitzungen haben sich bis zu 60 Kommissionsmitglieder beteiligt
Seit Frühjahr 2020 zeichnete sich unter der Coronalage, wie in vielen anderen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen auch, eine spürbare Zurückhaltung der Patientinnen und Patienten bei der Antragstellung ab. So reduzierten sich die im Berichtszeitraum bei der Gutachterkommission in Nordrhein neu eingegangenen Begutachtungsanträge um etwa zehn Prozent (von 1.795 Anträgen im vorherigen Berichtszeitraum auf aktuell 1.630 Anträge).
Auch in diesem Berichtsjahr wurden wieder deutlich mehr Verfahren abgeschlossen (1.779 Verfahren) als neu eingegangen sind. Ein Großteil dieser Verfahren ist mit einem Gutachten beendet worden. In 348 der 1.238 Begutachtungsfälle stellte die Gutachterkommission Behandlungsfehler fest. Dies entspricht einer Quote von 28,11 Prozent, die damit auf dem Vorjahresniveau lag (28,37 Prozent). Behandlungsfehlervorwürfe im Zusammenhang mit einer Coronainfektion waren dabei bisher nur in einigen wenigen Fällen Gegenstand von Verfahren vor der Gutachterkommission.
Förderung der Streitbeilegung
Der Bestand offener Begutachtungsverfahren ist auf 1.077 Vorgänge gesunken. Die Verfahrensdauer hat sich auch durch die Umstellung auf die neue Verfahrensordnung nicht wesentlich geändert und ist mit 10,5 Monaten im Mittel der letzten fünf Jahre geblieben. Gleichzeitig sank der Bestand der noch zu erledigenden Anträge auf Erstattung eines abschließenden Gutachtens im abgelaufenen Berichtszeitraum von 275 auf 262.
In der Kammerversammlung vom 14.11.2020 wertete der Vorsitzende der Gutachterkommission, Präsident des Oberlandesgerichts a.D. Johannes Riedel, diese Ergebnisse als Ausdruck des außerordentlichen Engagements der ärztlichen und juristischen ehrenamtlichen Mitglieder sowie der Geschäftsstelle der Gutachterkommission. Gleichzeitig hob er die gelungene Harmonisierung der zahlreichen Verfahrensschritte hervor. Er dankte allen Beteiligten dafür, dass sie auch unter den Rahmenbedingungen der Pandemie die Arbeitsfähigkeit der Gutachterkommission im Interesse der Verfahrensbeteiligten effektiv und flexibel aufrechterhalten haben.
Neue Amtsperiode
Mit dem 1.12.2020 hat im Berichtszeitraum auch die 12. Amtsperiode der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein begonnen, der nunmehr 114 Ärztinnen und Ärzte und acht Juristinnen und Juristen angehören. Ein wichtiges Anliegen der Kommission ist es, mehr weibliche Mitglieder für die Kommissionsarbeit zu gewinnen. Der Präsident hat sich mit einem Schreiben an die leitenden Ärztinnen des Kammerbereichs gewandt, um die Kommission in ihrer Zielsetzung zu unterstützen, dem Vorstand in der bis 30. November 2025 laufenden Amtsperiode mehr Ärztinnen zur Berufung in die Kommission vorschlagen zu können.