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Im Vorfeld der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 14. Mai 2017 haben die Vorstände der Ärztekammern Westfalen-Lippe und Nordrhein gemeinsam „Wahlprüfsteine“ formuliert. Die NRW-Ärztekammern fordern von den Akteuren in der Landespolitik eine

Wahlprüfsteine zur Landtagswahl 2017 - Forderungen der Ärztekammer Nordrhein und der Ärztekammer Westfalen-Lippe

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Düsseldorf, Münster, 16.3.2017. Die beiden Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen fordern die Ausrichtung des Gesundheitswesens an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten, nicht an ökonomischen und marktwirtschaftlichen Interessen. Patientenversorgung ist kein industrieller Fertigungsprozess, ärztliche Zuwendung ist nicht rationalisierbar.

Wir fordern eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und Anerkennung für das, was Ärztinnen und Ärzte und die Angehörigen der anderen Gesundheitsfachberufe für und mit ihren Patienten leisten.

 
 

Statt weiterer Bürokratie brauchen Patient und Arzt Freiheitsräume, in denen eine vertrauensvolle Patient-Arzt-Beziehung gedeihen kann.

 
 

Freiberuflichkeit und ärztliche Selbstverwaltung garantieren die Patienten- und Gemeinwohlorientierung. Sie müssen deswegen konsequent gestärkt werden. Die Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen stehen für den ärztlichen Sachverstand aus allen Sektoren des Gesundheitswesens. Sie sind immer dann einzubeziehen, wenn es um die Weiterentwicklung der Patientenversorgung in Nordrhein-Westfalen geht.

 
 

Auf Basis dieser Grundsätze fordern wir im Einzelnen:

Die wohnortnahe ambulante ärztliche Versorgung sichern

Die demografische Entwicklung und der medizinische Fortschritt lassen den medizinischen Versorgungsbedarf weiter steigen. Zugleich ist es bereits jetzt für Ärztinnen und Ärzte in ländlichen und bestimmten städtischen Regionen schwer, Nachfolger für ihre Praxen zu finden. Ökonomisierung und Bürokratisierung der Medizin schrecken junge Ärztinnen und Ärzte davon ab, sich dauerhaft für eine wirtschaftlich selbstständige Tätigkeit in der Patientenversorgung zu entscheiden.

 
 

Damit sich auch in Zukunft alle Menschen in Nordrhein-Westfalen auf eine gute und erreichbare ärztliche Versorgung verlassen können, ist eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante ärztliche Tätigkeit dringend geboten. Dazu gehören der konsequente Verzicht auf unnötige Bürokratie, die gezielte finanzielle Förderung der Niederlassungsbereitschaft durch das Land und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum durch eine gute Infrastrukturpolitik. Junge Ärztinnen und Ärzte brauchen die Gewissheit, dass eine Niederlassung nicht mit Unwägbarkeiten durch mögliche Regresse oder andere schwer zu überschauende wirtschaftliche Risiken verbunden ist. Dafür muss sich Nordrhein-Westfalen auch auf der Bundesebene stark machen.

 
 
Den ärztlichen Nachwuchs für die Patientenversorgung gewinnen
 
 

Die demographische Entwicklung trifft das Gesundheitswesen doppelt: Der Versorgungsbedarf steigt, während immer mehr Ärztinnen und Ärzte altersbedingt in den Ruhestand treten. Der Nachwuchsmangel wird dadurch verschärft, dass junge Ärztinnen und Ärzte andere Arbeitszeiterwartungen haben als die vorangehenden Generationen. Dies erhöht die für die Versorgung notwendige Zahl von Ärztinnen und Ärzten. Deswegen benötigt Nordrhein-Westfalen mehr Medizinstudienplätze. Die Errichtung einer medizinischen Fakultät im östlichen Teil von Westfalen-Lippe wäre zugleich ein wichtiger Impuls für die Stärkung der Versorgung in besonders vom Ärztemangel bedrohten Landesteilen.

 
 

Die künftigen Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht nur nach der Abiturnote ausgewählt werden. Die Frage nach der Bereitschaft und Befähigung, sich um erkrankte Menschen zu kümmern, muss ein größeres Gewicht bekommen – durch geänderte Auswahlverfahren und durch gezielte Förderung im Studium.

 
 

Die Allgemeinmedizin muss in der Ausbildung aller künftigen Ärztinnen und Ärzte aufgewertet werden. Diesem Ziel läuft eine „Landarztquote“ zuwider, denn sie wäre dem Ansehen der Allgemeinmedizin insgesamt abträglich. Stattdessen muss die Attraktivität der Allgemeinmedizin im Studium durch Förderung und freiwillige Anreize gestärkt werden.

 
 

Auch nach dem Abschluss der Ausbildung gilt es, die Allgemeinmedizin zu stärken und Anreize für eine Weiterbildung zur Hausärztin/zum Hausarzt zu setzen. Die Ärztekammern haben die Hausarztweiterbildung mit dem Aufbau von Weiterbildungsverbünden in Nordrhein-Westfalen wesentlich gestärkt. Sie werden diese Erfahrungen in die Bildung von Kompetenzzentren einbringen. Die Ärztekammern sind aufgrund ihrer Kompetenz und ihrer landesrechtlichen Zuständigkeit die Ansprechpartner für die Landespolitik in allen Fragen der ärztlichen Weiterbildung. 

 
 
Die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen stärken – Qualitätsorientierung mit ausreichender Finanzierung verbinden
 
 

Nordrhein-Westfalen hat als eines der ersten Bundesländer den Weg einer qualitätsorientierten Krankenhausplanung eingeschlagen. Es gilt, diesen Weg konsequent in der Verantwortung des Bundeslandes fortzusetzen. Bundesvorgaben zur qualitätsorientierten Krankenhausplanung dürfen auch in Zukunft nicht ungeprüft Geltung in Nordrhein-Westfalen erlangen. Stattdessen ist wie bisher das Einvernehmen der Beteiligten im Landesausschuss für Krankenhausplanung herzustellen, damit nur die Vorgaben in Nordrhein-Westfalen wirksam werden, von denen tatsächlich ein Nutzen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten ausgeht. Die Ärztekammern stehen in diesem Gremium für den ärztlichen Sachverstand und das regionale Versorgungswissen. Sie werden weiterhin dafür eintreten, dass Qualitätsvorgaben fachlich gut begründet, praktikabel und bürokratiearm umzusetzen sind. 

 
 

Zur Verantwortung des Bundeslandes für die Qualität der Krankenhausversorgung gehört die Gewährleistung einer ausreichenden Krankenhausinvestitionsfinanzierung. Krankenhäuser dürfen nicht länger gezwungen sein, ihre Investitionen aus den DRG-Vergütungen zu bestreiten, denn diese Mittel fehlen für die unmittelbare Patientenbehandlung und eine ausreichende Personalausstattung. Qualitäts- und Strukturvorgaben des Krankenhausplans und steigende Anforderungen an die IT-Sicherheit erfordern auf Seiten der Kliniken zusätzliche Anstrengungen. Deswegen muss Nordrhein-Westfalen endlich seinen Verpflichtungen in der Investitionsfinanzierung in vollem Umfang nachkommen.

Die Zusammenarbeit der Sektoren und der Berufsgruppen fördern, Telemedizin sinnvoll nutzen
 
 

Nordrhein-Westfalen benötigt ein Gesundheitswesen, in dem die Versorgungssektoren und die Berufsgruppen patientenorientiert zusammenarbeiten. Dabei sind die Chancen von Digitalisierung und Telemedizin konsequent zu nutzen.

 
 

Nordrhein-Westfalen muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, bessere Rahmenbedingungen für die sektorenübergreifende Kooperation zu erreichen, dies insbesondere auch mit Blick auf die Notfallversorgung.

 
 

Zugleich sollte Nordrhein-Westfalen im gemeinsamen Landesgremium zur sektorenübergreifenden Versorgung über die Initiierung von Modellprojekten hinaus konsequent auf verbindliche, tragfähige, praktikable und medizinisch sinnvolle Absprachen hinwirken, die für alle Regionen gelten. Dazu ist der sektorenübergreifende ärztliche Sachverstand, für den die Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen stehen, mit Sitz und Stimme in diesem Gremium einzubeziehen.

 
 

Die Zukunft des Gesundheitswesens hängt zentral von der Zahl und der Qualifikation der Menschen ab, die in den Gesundheitsfachberufen tätig sind. Nordrhein-Westfalen muss deswegen die Aus- und Weiterbildung in allen Gesundheitsfachberufen stärken und auf Personalmindeststandards in der medizinischen und pflegerischen Versorgung hinwirken.

 
 

Die Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe muss weiter gefördert werden, ohne dass es dabei zu neuen Schnittstellen oder Versorgungsbrüchen kommt. Bei der Weiterentwicklung von Gesundheitsfachberufen ist vor allem nach dem Nutzen für die Patienten zu fragen. Modellversuche zu neuen Aufgabenzuschreibungen (z. B. bei der Heilmittelversorgung) erfordern eine enge Einziehung der Ärzteschaft und eine sorgfältige, unabhängige Evaluation. Die Versorgung durch multiprofessionelle Teams ist unter Wahrung des Facharztstandards und der ärztlichen Gesamtverantwortung für Diagnose und Therapie weiterzuentwickeln. Eine besondere Rolle kommt dabei speziell qualifizierten Medizinischen Fachangestellten zu, die gerade im ländlichen Raum wichtige Versorgungsaufgaben in der häuslichen Umgebung der Patientinnen und Patienten übernehmen können.

 
 

Digitalisierung und Telemedizin müssen in Nordrhein-Westfalen konsequent weiter gefördert werden. Leitend müssen dabei die Patientenperspektive, die Wahrung der informationellen Selbstbestimmung und der ärztliche Sorgfaltsmaßstab sein. Nordrhein-Westfalen muss durch einen zügigen, flächendeckenden Ausbau schneller Internetverbindungen die Voraussetzungen dafür schaffen, das Potential der Telemedizin gerade auch im ländlichen Raum zu nutzen. 

 
 
Den öffentlichen Gesundheitsdienst nachhaltig unterstützen
 
 

Dem öffentlichen Gesundheitsdienst kommt als dritter Säule des Gesundheitswesens eine besondere Bedeutung zu – nicht erst die Herausforderungen bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen haben dies deutlich gemacht. Das Land Nordrhein-Westfalen muss den öffentlichen Gesundheitsdienst konsequent unterstützen und dazu vor allem auf eine angemessene Personalausstattung hinwirken. Dazu gehört – wie bereits in anderen Bundesländern geplant oder schon umgesetzt – ein Ende der Gehaltsbenachteiligung von Ärztinnen und Ärzten, die sich für eine Tätigkeit im Gesundheitsamt entscheiden.

 
 

Die Strukturen des Infektionsschutzes in unserem Bundesland müssen weiterentwickelt werden. Angesichts der aktuellen Herausforderungen in einer globalisierten Welt bedürfen die Ende der 1990er Jahre unter ganz anderen Bedingungen geschaffenen weitgehend kommunalisierten Strukturen des Infektionsschutzes in Nordrhein-Westfalen und der anschließende sukzessive Rückzug des Bundeslandes aus diesem Tätigkeitsfeld einer Neubewertung. Die kommunalen Gesundheitsämter müssen bei den zunehmenden infektiologischen Herausforderungen durch verbindliche und fachkompetente überregionale Strukturen sowie eine verantwortliche Koordinierung unterstützt werden. 

 
 
Prävention und Gesundheitsförderung in Nordrhein-Westfalen voranbringen
 
 

Prävention und Gesundheitsförderung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Nordrhein-Westfalen sollte dieser Verantwortung in allen Politikfeldern gerecht werden. So sind den Schulen nicht nur Gelder für den Ausbau von Internet und WLAN zur Verfügung zu stellen, sondern auch für einen adäquaten Ausbau des Schulsports einschließlich der Sportanlagen.

 
 

Gesundheitsprogramme in den Lebenswelten (Kita, Schule, Arbeitsplatz, Senioreneinrichtungen) sollten evidenzbasiert, qualitätsgesichert und in Ergänzung zu der gesundheitlichen Versorgung in Arztpraxen, Krankenhäusern, Rehaeinrichtungen und Betriebsmedizin konzipiert werden; Doppelstrukturen sind dabei zu vermeiden. Dazu sind die Präventionsaktivitäten in Nordrhein-Westfalen unter Hinzuziehung ärztlichen Sachverstands mitzugestalten. 

 
 
Qualität und Patientensicherheit auch im europäischen Kontext vertreten – Freie Berufe stärken
 
 

Im nordrhein-westfälischen Gesundheitswesen orientieren sich alle Partner an sehr hohen Maßstäben für Qualität und Patientensicherheit. Diese Standards gilt es auch im europäischen Kontext immer wieder neu zu vertreten und wo nötig zu verteidigen.

 
 

Nordrhein-Westfalen hat als bevölkerungsreichstes Bundesland dafür in Berlin und Brüssel eine besondere Verantwortung.

 
 

Dabei wird es in Deutschland und Europa in den nächsten Jahren besonders darauf ankommen, entschieden auf den Nutzen hinzuweisen, den das Modell der Freien Berufe für die Patienten- und Verbrauchersicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hat. Nordrhein-Westfalen benötigt dazu – analog zum landesseitig geförderten Deutschen Handwerksinstitut – ein entsprechend gefördertes Institut für die Freien Berufe.

 
 

Europäischen Normierungsbestrebungen für Gesundheitsdienstleistungen gilt es entschieden entgegenzutreten, weil sie die landesrechtlich in der ärztlichen Weiterbildungsordnung geforderten Qualifizierungsvoraussetzungen unterlaufen. An gut begründeten Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen ist konsequent festzuhalten, weil sie keine Binnenmarkthindernisse sind, sondern für Verlässlichkeit und Qualität im sensiblen Bereich der Patientenversorgung und Patientensicherheit sorgen. 

 
 
Einheitsversicherung verhindern
 
 

Nordrhein-Westfalen muss entschieden allen Bestrebungen entgegentreten, das bewährte deutsche Gesundheitssystem durch eine Einheitsversicherung zu gefährden. Das Nebeneinander von privater Krankenversicherung und gesetzlichen Krankenkassen ist die Basis für die umfassende Versorgung, die finanzielle Stabilität, die Wahlfreiheit und die hohen Qualitätsmaßstäbe, die das deutsche Gesundheitswesen auszeichnen.

ÄkNo/ÄkWL

Wahlprüfsteine zur Landtagswahl 2017 (45,25 KB

 
 

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