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Offenbarungsrechte und Offenbarungspflichten für Ärztinnen und Ärzte


Hinweise und Empfehlungen zu Konfliktsituationen

Medienberichte über psychisch auffällige oder psychisch kranke Attentäter wie zum Beispiel den Verursacher des Germanwings-Absturzes im März 2015 haben immer wieder den Ruf nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht laut werden lassen. Nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage ist eine Gesetzesänderung derzeit nicht erforderlich. Die Rege-lungen zur ärztlichen Schweigepflicht sind ausreichend, um auch in Konfliktsituationen im Einzelfall adäquat entscheiden zu können. Dieses Informationsblatt soll Ärztinnen und Ärzte Hilfestellung geben, indem die Offenbarungsrechte und Offenbarungspflichten erläutert werden.

I. Rechtsgrundlagen


Ärztinnen und Ärzte sind Dritten gegenüber strafrechtlich grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, also ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (§ 203 Abs. 1 StGB).

Eine gleichartige Regelung findet sich in der Berufsordnung (BO) für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte. § 9 Abs. 1 BO regelt ergänzend, dass Ärztinnen und Ärzte über das, was ihnen in ihrer ärztlichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin / des Patienten hinaus – zu schweigen haben. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten und ärztliche Aufzeichnungen.

Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherrangigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten (§ 9 Abs. 2 BO).

Mit Einverständnis des Patienten darf der Arzt der Verschwiegenheit unterliegende Geheimnisse offenbaren. Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht sind gegeben, wenn gesetzliche Vorschriften dem Arzt ein Recht oder eine Pflicht zur Offenbarung auferlegen.

II. Offenbarungsrecht kraft Güterabwägung


Ein Recht zur Offenbarung von Patientengeheimnissen folgt aus § 9 Abs. 2 BO. Nach einer Güterabwägung darf der Arzt im Einzelfall Auskünfte erteilen, wenn dies zum Schutz höherrangiger Interessen (z.B. Leib und Leben Dritter) erforderlich ist. Im Falle eines sogenannten rechtfertigenden Notstands darf der Arzt ein Patientengeheimnis offenbaren, wenn das Vertrauen des Patienten in die Verschwiegenheit des Arztes gegenüber einem anderen rechtlichen Interesse Dritter geringwertig ist.

Der „rechtfertigende Notstand“ ist auch im Strafgesetzbuch geregelt. Gemäß § 34 Strafgesetzbuch (StGB) handelt nicht rechtswidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

So kann ein rechtfertigender Notstand vorliegen, wenn ein Patient trotz einer bestehenden Erkrankung (z.B. Psychose, Epilepsie, Suchterkrankung) am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er sich und / oder andere gefährdet. Der Arzt ist berechtigt, die Straßenverkehrsbehörde zu benachrichtigen, wenn er zuvor ohne Erfolg versucht hat, auf den Patienten einzuwirken, bzw. diesen von einer Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrer abzuhalten.

III. Gesetzlich geregelte Offenbarungsrechte


Stellt ein Arzt bei der Behandlung eines Kindes fest, dass aufgrund der Symptome eine Kindesmisshandlung vorliegen könnte, darf er im Interesse des Kindes am Schutz vor weiteren körperlichen und seelischen Schäden und im Falle eines rechtfertigenden Notstandes, das Jugendamt benachrichtigen.

Da es bei Berufsgeheimnisträgern immer wieder Unsicherheiten gab, wann das Jugendamt informiert werden darf, hat der Gesetzgeber am 01.01.2012 eine klarstellende Regelung in das Bundeskinderschutzgesetz (§ 4 BKiSchG) aufgenommen. In § 4 BKiSchG ist nunmehr die Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung gesetzlich geregelt.

§ 4 Abs. 1 BKiSchG enthält ein Erörterungsrecht mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten. Darüber hinaus besteht nach § 4 Abs. 2 BKiSchG ein Beratungsanspruch gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch eine erfahrene Fachkraft. Halten Ärztinnen und Ärzte ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt das Jugendamt zu informieren. Hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind Ärztinnen und Ärzte dann auch befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen (§ 4 Abs. 3 BKiSchG).

IV. Gesetzlich geregelte Offenbarungspflichten


Ärztliche Rechtspflichten zur Offenbarung von Patientengeheimnissen ergeben sich aus zahlreichen gesetzlichen Spezialregelungen (Auskunftspflichten gegenüber Sozialversicherungsträgern zum Beispiel gegenüber den gesetzliche Krankenkassen, dem Medizinischen Dienst oder den Unfallversicherungsträgern § 100 SGB X, §§ 275 Abs.1-3, § 276 Abs. 2 Satz 1 HS 2 SGB V, § 62 BMV-Ä beziehungsweise § 17 EKV).

Gesetzliche Offenbarungspflichten ergeben sich auch aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Im Falle des Verdachts auf bestimmte Krankheiten oder Erreger wie zum Beispiel Masern, Mumps oder Milzbrand ist der Arzt gemäß § 6ff. IfSG zur Meldung an das örtlich zuständige Gesundheitsamt verpflichtet. Der Gesetzgeber hat die normative Entscheidung getroffen, dass die Gefährdung der Allgemeinheit durch diese Krankheiten nach § 6 IfSG und Erreger nach § 7 IfSG schwerer ist, als ein Eingriff in das Geheimhaltungsinteresse des Patienten. Die §§ 6 ff. IfSG regeln eine teilweise namentliche / teilweise nicht-namentliche Meldepflicht mit dem Ziel der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten beim Menschen, der frühzeitigen Erkennung von Infektionen sowie der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung.

V. Strafrechtliche sanktionierte Offenbarungspflichten


Ein Verstoß gegen Offenbarungspflichten kann in besonderen Fällen sogar strafbar sein. In § 138 Abs. 1 StGB wird ein Katalog von Straftaten genannt, deren Nichtanzeige für einen Arzt als Geheimnisträger teilweise bei ernsten Erfolgsabwendungsbemühen gemäß § 139 Abs. 4 StGB nicht strafbar ist. Dagegen macht sich der Arzt gemäß § 139 Abs. 3 S. 1 StGB strafbar wenn er einen geplanten Mord oder Totschlag, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen, einen erpresserischen Menschenraub, eine Geiselnahme oder einen Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr durch eine terroristische Vereinigung nicht anzeigt. Voraussetzung für die Anzeigepflicht ist, dass der Arzt von dem Vorhaben oder der Ausführung glaubhaft erfahren hat. Die Möglichkeit des Erkennens eines solchen Vorhabens genügt nicht.

Stand: 12. Dezember 2016