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Der Anfang ist gemacht

25.08.2021 Seite 12
RAE Ausgabe 9/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 9/2021

Seite 12

© SDI Productions/istockphoto.com
Im Juli 2020 ging die neue Weiterbildungsordnung (WBO) in Nordrhein an den Start. Was hat sich seitdem verändert? Kann die neue WBO die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen? Das Rheinische Ärzteblatt befragte Weiterbilder und Weiterbildungsassistenten zu ihren Erfahrungen mit e-Logbuch und Kompetenzbasierung. 

von Jocelyne Naujoks

„Ich wollte ausprobieren, welche Möglichkeiten die neue, digitale Weiterbildung bietet“, sagt Dr. Antonio Kos, der noch „im alten System groß geworden ist“. Kos absolvierte seine Facharztweiterbildung für Chirurgie sowie für Orthopädie und Unfallchirurgie nach der alten Weiterbildungsordnung (WBO) und wechselte während der Zusatz-Weiterbildung „Spezielle Orthopädische Chirurgie“ kurzentschlossen über in das neue Regelungswerk. „Die alte und die neue Weiterbildungsordnung sind zwei verschiedene Paar Schuhe“, sagt Kos. „In der alten WBO hat man zwischendurch immer wieder geguckt, ob die Zahlen in etwa passen. Wenn es dann Richtung Prüfung ging, rechnete man alles zusammen und machte einen Termin mit seinem Weiterbilder. Der zeichnete, wenn es gut lief, jede Spalte einzeln ab. War die Zeit knapp, malte er eine große Klammer hinter alle Spalten und unterschrieb einmal. So hatte man mehr oder weniger alle Anforderungen erfüllt“, beschreibt Kos. 

Das mit der neuen WBO eingeführte elektronische Logbuch (e-Logbuch) gebe dagegen sowohl dem Weiterbildungsassistenten als auch dem befugten kontinuierlich während der gesamten Weiterbildung einen guten Überblick über Leistungen, die der Assistenzarzt bereits beherrscht und über solche, die ihm für die Qualifikation noch fehlen. „Alles ist nun nachvollziehbarer und transparenter. Ich bekomme auch selbst ein viel besseres Gefühl dafür, was ich schon erfüllt habe und was ich noch brauche.“ Das sei auch ein Vorteil, wenn man als Weiterbildungsassistent den Weiterbilder oder die Ärztekammer wechselt, meint Kos.

Regelmäßiger Austausch ist wichtig

„Der Weiterbildungsassistent hat mit dem e-Logbuch ein Instrument in der Hand, mit dem er seine Weiterbildung verbessern kann“, sagt Professor Dr. Hansjörg Heep, Vorsitzender des Ausschusses „Ärztliche Weiterbildung“ und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein. Ganz praktisch tragen die Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten ihre erbrachten Leistungen in das e-Logbuch ein und schicken es dann zur Beurteilung an die jeweiligen Weiterbilder, erklärt Heep. Die Befugten kommentierten die Einträge der Assistenten und gingen sie, wenn möglich, gemeinsam mit diesen durch.
„Es geht jetzt nicht mehr darum, bestimmte Zeiten und eine bestimmte Zahl von Eingriffen abzuleisten, sondern um Inhalte und den Erwerb von Kompetenzen. Dafür müssen Weiterbilder und Weiterbildungsassistent miteinander in Kontakt treten, sich austauschen“, betont Heep. Mit dem e-Logbuch erhöhe sich der Druck auf die Weiterbilder, sich regelmäßig mit ihren Assistenten und deren Leistungen auseinanderzusetzen. „Gibt der Befugte beispielsweise das Logbuch nicht zurück, kann es sich der Assistent zurückholen und darin festhalten, dass er um eine Rückmeldung gebeten, aber keine bekommen hat“, so Heep. Trotzdem sagt der Weiterbildungsexperte: „Die Qualität der Weiterbildung hängt letztendlich nach wie vor vom Befugten ab.“ 

„Das Logbuch gehört dem Weiterbildungsassistenten“

Eine Besonderheit des e-Logbuchs: Was einmal dokumentiert wurde, bleibt dort stehen. „Das Logbuch gehört dem Weiterbildungsassistenten und nicht dem Weiterbilder oder der Ärztekammer“, betont Heep, der Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsmedizin Essen am St. Josef Krankenhaus und dort selbst Weiterbildungsbefugter ist. „Die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung dokumentieren selbst, was sie können und was sie schon geleistet haben und geben es dann erst zur Beurteilung an die Weiterbilder. Diese können nichts von dem löschen, was die Assistenten eingetragen haben. Sie können lediglich Einträge durchstreichen oder kommentieren.“ 

Für die Weiterbilder sei die Pflege des e-Logbuchs zeitaufwendig, sagt Heep. Denn klar sei, die Weiterbildung sei nach wie vor ein „Nebenprodukt ärztlicher Tätigkeit“. Gerade in den großen Fächern wie der Chirurgie, wo es zuvor einen „common trunk“ gab, seien die Kolleginnen und Kollegen ratlos, wie sie den Wechsel in die neue WBO stemmen sollen. „Wir werden in den großen Fächern die Weiterbildungsbefugnis auf mehrere Köpfe aufteilen müssen. Das geht, es ist nur leider wenig üblich“, sagt Heep.  
Etwa 6.500 Weiterbildungsbefugte gibt es zurzeit in Nordrhein. Weiterbilder, deren Befugnis ausläuft, müssen künftig nach der neuen WBO weiterbilden. Die alte Befugnis verfällt dabei nicht. „Der Wechsel ist ein notwendiges Übel, das die Kolleginnen und Kollegen allerdings gelassen hinnehmen“, meint Heep.

Erhöhter Zeitaufwand

Das Mehr an Arbeit durch die neue WBO sieht auch Kos, der in seiner Zusatz-Weiterbildung am Essener St. Josef Krankenhaus von Heep betreut wird. Als Assistenzarzt, der seine Weiterbildung erfolgreich beenden wolle, nehme man den erhöhten Zeitaufwand gerne in Kauf, sagt Kos. Für den Weiterbildungsbefugten bedeute die Umstellung vom Papierformat auf das digitale Logbuch dagegen einen erheblichen Mehraufwand, der noch dazu nicht honoriert werde. „Es stellt sich die Frage, ob die Betreuung wirklich besser werden kann, wenn ein Befugter bis zu 50 Assistenten gleichzeitig betreut“, gibt Kos zu bedenken. Auch das e-Logbuch muss seines Erachtens hier mehr Möglichkeiten bieten: „Der Weiterbildungsbefugte müsste sich ab einem bestimmten Datum anzeigen lassen können, was sein Assistent bisher geleistet hat, ohne dafür mühsam durch das gesamte Logbuch zu scrollen. So könnte er unmittelbar sehen, wie die Entwicklung verläuft und was noch fehlt, und er könnte den Assistenten dementsprechend bei der Dienstplanung berücksichtigen. Das wäre auch eine gute Vorbereitung für ein Gespräch“, meint Kos.    

Kritisch sieht er auch die Unbestimmtheit mancher Begriffe. Was genau ist unter den Schlagworten Kognitive und Methodenkompetenz sowie Handlungskompetenz zu verstehen? Worin unterscheiden sich Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten? Und wann hat man die erste oder zweite Kompetenzstufe erreicht? Hier fehlt es Kos zufolge an konkreten Erklärungen. „Eine Selbsteinschätzung wird schwierig, wenn nichts klar definiert ist. Jeder trägt nach Gefühl das ein, was er sich darunter vorstellt und versucht dabei, möglichst viele Punkte zu ergattern“, sagt Kos. Unklar sei auch, welche Konsequenzen es habe, wenn sich der Weiterbildungsassistent falsch eingeschätzt oder schlicht etwas falsch eingetragen hat. „Als Assistent hat man den Eindruck, was man in das Logbuch einträgt, ist endgültig. Hier fehlt es an Schulung und Anleitung“, kritisiert Kos. 

Die neue Weiterbildungsordnung 2020

Im Juli 2020 trat die neue Weiterbildungsordnung (WBO) in Nordrhein in Kraft. Anders als zuvor müssen Weiterbildungsassistenten nicht mehr nur Zeiten oder bestimmte Richtzahlen erreichen. Ziel ist der Erwerb von Kompetenzen. Die Kompetenzen sind unterteilt in „Kognitive und Methodenkompetenz“ (Kennen) und die „Handlungskompetenz“ (Erfahrungen und Fertigkeiten). Kernstück der neuen WBO ist das elektronische Logbuch (e-Logbuch), in das die Ärztinnen und Ärzte während der Weiterbildung ihre erworbenen Kompetenzen selbstständig eintragen. Die Weiterbilder erhalten über eine elektronische Einladung ihrer Assistenten Zugriff auf das Logbuch und können eigene Anmerkungen machen. 

Bereits in Weiterbildung befindliche Ärztinnen und Ärzte können in die neue Weiterbildungsordnung wechseln. Die Übergangsfristen von der alten zur neuen WBO betragen ab Juli 2020 gerechnet sieben Jahre für den Facharzt und drei Jahre für einen Schwerpunkt oder für die Zusatz-Weiterbildungen. Befugnisse für die alte WBO bleiben bis zum Ablaufdatum gültig. 

Mehr Informationen zur neuen WBO gibt es auf www.aekno.de/aerzte/weiterbildung/weiterbildungsordnung-2020.
 

Hilfe im Umgang mit dem Logbuch

Einige Teile des e-Logbuchs habe er nur in Rücksprache mit seinem Weiterbilder ausgefüllt, der sich bereits in das System eingearbeitet habe, sagt Kos. Doch er ist optimistisch, dass sich die jungen Medizinerinnen und Mediziner zukünftig gegenseitig helfen, wenn sie erst einmal genügend Erfahrungen mit dem System gesammelt haben. Trotzdem wünscht sich Kos in der Handhabung des e-Logbuchs mehr Unterstützung. So gebe es beispielsweise auch in der neuen WBO Richtzahlen, die im klinischen Alltag mitunter schwer erreichbar seien. Ob es dennoch möglich ist, auch dann zur Facharztprüfung zugelassen zu werden, wenn zum Beispiel eine Operation fehlt, ist ihm nicht klar. „Früher war es häufig auch Ermessenssache, ob man zur Prüfung zugelassen wurde oder nicht. Heute zeigt das System klar auf, wo etwas fehlt“, sagt Kos.    

Für Weiterzubildende wie Kos, die von der alten in die neue WBO gewechselt haben, hat das System zudem eigene Fallen aufgestellt. „Bei der Umstellung vom Papierformat auf das digitale Logbuch mussten wir ganz schön tricksen, damit ich meine Richtzahlen auch erreiche“, sagt Kos. Für den Übergangszeitraum wünsche er sich deshalb eine Möglichkeit, die analoge Dokumentation nach alter WBO in das e-Logbuch integrieren zu können.   

Dass bei der Umsetzung der neuen WBO noch Luft nach oben ist, sagt auch Heep. Gerade versuche man zum Beispiel, auf Mobilgeräten eine Schnittstelle zum e-Logbuch zu schaffen. „Dann könnte der Weiterbildungsassistent zum Beispiel die eben gemachte OP in ein Programm auf seinem Handy oder Tablet eintragen. Dieses wäre wiederum mit dem e-Logbuch gekoppelt, sodass die Eintragungen später einfach in das Logbuch übertragen werden können“, erklärt Heep. 

Auch in puncto Transparenz gibt es Heep zufolge Verbesserungsbedarf. „Für die Assistenten sollte jederzeit transparent sein, wo sie welche Leistungen erbringen können. Es bringt nichts, wenn jemand in seiner Weiterbildung 200 EKGs gemacht haben muss, aber in der Klinik kein EKG zur Verfügung steht.“ Auch daran arbeite man, sagt Heep. „Die Weiterbildung ist kein Schnellboot, sondern ein großer Tanker, der voll beladen ist. Sie ist nicht schnell und wendig. Jede Änderung des Kurses braucht Zeit.“   

Selbsteinschätzung als ärztliche Kompetenz 

Für Jana Krüger war die neue WBO bis zum Start ihrer Weiterbildung am St. Josef Krankenhaus in Essen kein Thema. Krüger, die sich im vierten Monat ihrer Weiterbildung zur Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie befindet, hält das elektronische Logbuch für vielversprechend. Für sie ist die Selbsteinschätzung ein Vorteil des Logbuchs: „Ich habe an mich selbst den Anspruch, kompetent sein zu wollen. Mein Können selbst einschätzen zu können, ist für mich auch eine Kompetenz, die ich als Ärztin brauche.“ Den Wechsel von einer Weiterbildung, die auf Zahlen ausgerichtet ist, hin zu einer, die Inhalte in den Vordergrund stellt, ist für sie ein echter Paradigmenwechsel: „Ich kann etwas ja nicht deshalb, weil ich es so und so oft gemacht habe, sondern weil ich mir eine Fähigkeit erworben habe. Oder anders: Nur weil ich 50-mal einen Ultraschall vom Bauchraum gemacht habe, muss ich die Untersuchungstechnik noch lange nicht beherrschen.“ 

Den regelmäßigen Austausch mit dem Weiterbilder hält Krüger für eine gute Möglichkeit, um selbst noch einmal zu reflektieren, „wo es hakt“. Transparenz sei ihr in der Weiterbildung ungemein wichtig. „Weiterbildung bedeutet für mich, auch kritisiert zu werden und mit dieser Kritik konstruktiv umzugehen. Gerade darum finde ich die Rückmeldung der Weiterbilder so wichtig. Die neue Weiterbildungsordnung ermöglicht den Assistenten, sich diese Rückmeldung regelmäßig zu holen.“ 

Corona: Weiterbildung stagniert 

Die Coronapandemie habe den Start der neuen WBO holprig gemacht, meint Kos. Viele Operationen wurden verschoben, manche Abteilungen komplett geschlossen. „Wo keine Operationen stattfinden, findet auch keine Weiterbildung in dem Sinne statt – zumindest nicht in den operativen Fächern“, gibt er zu bedenken. 
Kos’ erstes Fazit: Insgesamt hat die neue WBO die klinischen Abläufe nicht verändert. Auch das elektronische Logbuch sieht er nicht als „game changer“. „Das Ganze steht und fällt mit der Frage, wie die Weiterbildungsbefugten gerade in den großen Kliniken die neue WBO umsetzen. Daran wird sich zeigen, inwiefern die neue WBO und das e-Logbuch wirklich die Weiterbildung vor Ort verbessern können.“

Dokumentation vereinfachen

Es sei die richtige Entscheidung gewesen, die neue Musterweiterbildungsordnung und das e-Logbuch bereits zum Juli 2020 in Nordrhein umzusetzen, sagen die Vorsitzenden der Weiterbildungskommission der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer und Dr. Arndt Berson. Auf dem langen Weg zur Digitalisierung in der ärztlichen Weiterbildung sei dies ein erster wichtiger Schritt gewesen. Luft nach oben gebe es vor allem in der Dokumentation im e-Logbuch. Diese müsse sowohl für die Weiterbilder als auch für die in Weiterbildung befindlichen Kollegen vereinfacht werden.

 In der Weiterbildungskommission werden laut Dreyer und Berson bei der Beratung der Mitglieder zu abweichenden Weiterbildungsgängen immer Beschlüsse alternativ nach neuer und alter WBO gefasst. „So können wir den Kolleginnen und Kollegen den für sie besten Weg aufzeigen“, sagt Dreyer. Ärztliche Weiterbildung müsse an die medizinische Entwicklung adaptiert werden. Gleichzeitig sei es wichtig, dass die WBO für jeden Assistenten über die gesamte Weiterbildungszeit verlässlich sei. „Durch die Ausrichtung der neuen WBO auf Inhalte können wir zukünftig auch schneller auf Entwicklungen in den Fachgebieten reagieren“, sagt Berson. Der Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie stehe bereits in den Startlöchern, so die Vorsitzenden der Weiterbildungskommission. Patientinnen und Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ihnen ein Facharzt mit hoher fachlicher Qualität zur Seite steht.