Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.
RÄ: Warum haben Sie sich für die Frauenheilkunde entschieden?
van Schewick: Mich begeistert vor allem die Vielseitigkeit dieses Fachs. Frauenheilkunde heißt, Mädchen und Frauen in allen Lebensphasen zu begleiten – von der Jugend über Schwangerschaft und Geburt bis ins Alter. Jede Phase bringt eigene gesundheitliche Fragen und medizinische Herausforderungen mit sich. Hinzu kommt, dass Interkulturalität in der Medizin und humanitäre Hilfe seit dem Studium Herzensthemen von mir sind. Besonders treibt mich die Frage um, wie man weltweit sichere Geburten ermöglichen kann.
RÄ: Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt heute bei der Fürsorge für Frauen und Mädchen mit Genitalbeschneidung. Wie kam es dazu?
van Schewick: Zum einen wurde ich 2019 durch einen Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“ im Irak für die Problematik der Genitalverstümmelung (FGM) sensibilisiert. Zum anderen betreuten wir auch in Deutschland immer wieder Patientinnen mit veränderten Genitalien nach FGM, die wir überwiegend als Neben- oder Zufallsbefund in unseren Sprechstunden diagnostizierten. Da es deutschlandweit nur wenige spezialisierte Anlaufzentren gab und gibt, waren diese Erfahrungen für meinen Chefarzt, Dr. Andreas Thomas, und mich Anlass, uns gezielt fortzubilden und eine eigene Sprechstunde ins Leben zu rufen. Allerdings benötigen betroffene Frauen nicht nur gynäkologische, sondern oftmals auch psychologisch-psychiatrische Unterstützung. Deshalb kooperieren wir eng mit der Uniklinik Bonn und bieten neben einer gynäkologischen auch eine psychiatrische Sprechstunde an.
RÄ: Wie geht man in Deutschland insgesamt mit dem Thema um? Gibt es Nachholbedarf?
van Schewick: Es gibt inzwischen einige wirklich gute Fort- und Weiterbildungskonzepte, die das Thema stärker aufgreifen, aber der Bedarf ist weiterhin groß. Das Erkennen von Genitalverstümmelung und ihren Folgen ist nicht immer einfach und Kenntnisse über Behandlungsmöglichkeiten sind bislang noch nicht flächendeckend etabliert. Dabei können die Folgen erheblich sein, insbesondere im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. Es braucht mehr Wissen, mehr Sensibilisierung und auch mehr konkrete Behandlungsoptionen, damit betroffene Frauen nicht übersehen werden.
RÄ: Gibt es einen Fall aus Ihrer Sprechstunde, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
van Schewick: Tatsächlich gibt es viele Fälle, die mich noch immer berühren. Routine gibt es in diesem Bereich nicht. Häufig leiden Patientinnen unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder während der Menstruation und Miktion. Dies schränkt ihre Lebensqualität erheblich ein und belastet die Partnerschaft. Manche wünschen sich eine Wiederherstellung des Genitals, um ein "normales" Körpergefühl und -erleben zurückzugewinnen. Einige betroffene Frauen sind zusätzlich durch ihre Fluchtgeschichte schwer belastet, in der sie Erfahrungen mit Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Sklaverei machen mussten.
RÄ: Wo können betroffene Frauen Unterstützung finden?
van Schewick: Wir bieten in der Klinik eine eigene Sprechstunde an und arbeiten eng mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Bonn sowie dem dortigen Institute for Medical Humanities zusammen. Zurzeit entwickeln wir ein interdisziplinäres Therapieangebot, um Betroffenen auch längerfristige Unterstützung zu ermöglichen. Herausforderungen bleiben die Finanzierung sowie der oftmals ungeklärte Aufenthaltsstatus vieler Patientinnen, der die längerfristige Begleitung erschwert.
RÄ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
van Schewick: Mir ist wichtig, dass es künftig flächendeckende und vor allem niederschwellige Angebote gibt. Viele Frauen stoßen schon bei den ersten Schritten auf Hürden: Sprachbarrieren, Schwierigkeiten bei der Terminvereinbarung oder das ungewohnte kulturelle Umfeld. All das erfordert Zeit und Vertrauen. Mein Wunsch ist, die Sprechstunde weiter auszubauen und Strukturen zu schaffen, die langfristig bestehen. Dass ich in einer Abteilung arbeiten darf, die diesen Raum ermöglicht, empfinde ich als großes Privileg – und als Chance, den Patientinnen besser gerecht werden zu können.
Das Interview führte Vassiliki Temme.