Vorlesen
Meinung

Prinzip Hoffnung?

17.09.2025 Seite 3
RAE Ausgabe 10/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2025

Seite 3

Dr. Sven Dreyer © Jochen Rolfes
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steigen. Voraussichtlich klafft im kommenden Jahr bei der GKV wieder eine Lücke von vier Milliarden Euro. Um diese zu schließen, müssten, vereinfacht überschlagen, die Beitragssätze der GKV um 0,2 Prozent zulegen. Auch die angekündigten Darlehen und die Übernahme der Finanzierung des Krankenhaus-Transformationsfonds aus Steuermitteln werden daran wohl nichts ändern. 

Doch Beitragssatzsteigerungen will die Koalition mit Blick auf die dadurch ebenfalls zunehmenden Lohnnebenkosten verhindern und hat sich Anfang September darauf verständigt, die Beitragssätze für die Pflege- und Krankenversicherung zum 1. Januar 2026 nicht steigen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich zwar formulieren, aber ohne Plan nicht erreichen. Denn das Wunschdenken nach dem Motto „irgendwo findet man schon noch Haushaltsgelder“ ist eigentlich kein Plan.

Zumal bis Mitte September fraglich war, ob der Finanzminister bei klammen Kassen für die längst fällige Entlastung der Krankenkassen durch die Übernahme versicherungsfremder Leistungen sorgen wird. Das Leipziger Forschungsinstitut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung hat errechnet, dass versicherungsfremde Leistungen schon im Jahr 2023 ein Volumen von fast 60 Milliarden Euro hatten. Erneute Beitragssatzsteigerungen wären sofort aus der Welt, würde sich die Koalition allein darauf einigen, die Leistungen für Bürgergeldempfänger in vollem Umfang zu übernehmen. Um rund zehn Milliarden Euro würden die gesetzlichen Krankenkassen damit entlastet. Doch das hatten schon Vorgängerregierungen versprochen und nicht umgesetzt. Um hier Druck auszuüben, hat der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen Mitte September beschlossen, die Bundesrepublik Deutschland zu verklagen – mit dem Ziel, die „systemische Unterfinanzierung der gesundheitlichen Versorgung von gesetzlich versicherten Bürgergeldbeziehenden“ zu beenden. Das ist konsequent, weil es nicht erklärlich ist, warum gesellschaftlich gewünschte Sozialleistungen allein von gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gestemmt werden sollen. 

Dass die Kosten der GKV weiter steigen, hat sicher noch weitere Gründe. Mit dem medizinischen Fortschritt nehmen Lebenserwartung und Therapiechancen zu. Und mit steigendem Alter geht eine höhere Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen und damit eine wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einher. Laut Experten sorgt allein der technisch-medizinische Fortschritt dafür, dass das Gesundheitswesen jährlich um drei Prozent teurer wird. Auch die Kosten für Arzneimittel explodieren vornehmlich aufgrund neuer, patentgeschützter Arzneimittel. Allein zwischen 2020 und 2024 stiegen die Ausgaben um mehr als ein Viertel. Wenn auf Medikamente nicht mehr 19, sondern nur noch sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig würden, würde das die GKV ebenfalls um weitere fünf bis sieben Milliarden Euro jährlich entlasten. Und so kann man durchaus fragen, warum der Staat beim Tierfutter und der Gastronomie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz aufruft, dies aber bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ausschließt.

Da die Besetzung der FinanzKommission Gesundheit, die Vorschläge für Strukturreformen zur Stabilisierung der Beitragssätze in der GKV unterbreiten soll, erst Mitte September durch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken erfolgte, sind von dieser frühestens Anfang nächsten Jahres Vorschläge zu erwarten. Da auch aus dem Bundesgesundheitsministerium bis Redaktionsschluss noch keine Gesetzesvorschläge zur Hebung von Effizienzreserven im Gesundheitssystem vorlagen, wird es wohl für 2026 beim Prinzip Hoffnung auf Haushaltsgelder bleiben, wenn Beitragssatzsteigerungen in der GKV wirklich vermieden werden sollen.

Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein