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Einvernehmen in zentralen Fragen

09.12.2025 Seite 12
RAE Ausgabe 1/2026

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2026

Seite 12

© Jochen Rolfes

Vor dem Hintergrund vordringlicher gesundheitspolitischer Problemfelder bot die 4. Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein in der Wahlperiode 2024–2029 ein Bild relativ großer Geschlossenheit. Kontroverse Debatten in Sachfragen blieben weitgehend aus. Trotz des Triage-Urteils des Bundesverfassungsgerichts war die Sorge um die ärztliche Berufsfreiheit in den Debattenbeiträgen deutlich vernehmbar.

von Thomas Gerst

Genau einen Tag, bevor die 4. Kammerversammlung in Düsseldorf tagte, hatte der Bundesrat das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege und das daran gekoppelte sachfremde „Sparpaket“ für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in den Vermittlungsausschuss überwiesen. Mit dem „Sparpaket“ in Höhe von zwei Milliarden Euro wollte die Bundesregierung mögliche Anhebungen der Zusatzbeiträge in der GKV für 2026 verhindern. Doch die Kritik der Bundesländer entzündete sich daran, dass die Hauptlast der Einsparungen mit 1,8 Milliarden auf die Krankenhäuser durch die im Gesetz geplante Aussetzung der sogenannten „Meistbegünstigungsklausel“ entfallen sollte. Folge dieser Entscheidung sei, dass es für Millionen Versicherte damit vorerst keine Klarheit gebe, ob die Krankenkassenbeiträge im neuen Jahr annähernd stabil bleiben, erklärte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung richtete er in seinem Lagebericht zur Kammerversammlung das Augenmerk auf den überaus kritischen Zustand der gesetzlichen Krankenversicherung. Die dort für das kommende Jahr bereits vorherzusehende Finanzierungslücke von rund 57 Milliarden Euro könne ohne die rasche Umsetzung von Reformen nur mit steigenden Zusatzbeiträgen der Versicherten und Arbeitgeber geschlossen werden. Bislang kämen jedoch nur wenige Reformvorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium, und es dauere zu lange, auf die Reformvorschläge der von der Bundesregierung eingesetzten „Finanzkommission Gesundheit“ zu warten, die Ergebnisse erst im März und Dezember 2026 vorlegen werde. „Angesichts der dargestellten Defizite in der GKV haben wir diese Zeit einfach nicht“, sagte Dreyer unter dem Beifall der Delegierten und präsentierte kurzfristige Lösungsvorschläge zur Entlastung der GKV-Finanzen. So würde allein die ausreichende Finanzierung der Krankenkassenbeiträge für Bürgergeldempfänger aus Steuermitteln die GKV-Beitragszahler um rund zehn Milliarden entlasten. In dieser Frage sei man sich einig mit den GKV-Spitzenverbänden, die inzwischen in dieser Angelegenheit Klage beim Landessozialgericht NRW eingereicht hätten. 

Weiterbildung im Blick behalten

Mindestens weitere fünf Milliarden Euro ließen sich einsparen, wenn der Mehrwertsteuersatz für verschreibungspflichtige Medikamente von derzeit 19 auf sieben Prozent gesenkt würde, führte der Kammerpräsident aus. „Für die Ärzteschaft ist es unerklärlich, warum Jakobsmuscheln und Schnittblumen mit sieben Prozent besteuert werden, wohingegen lebenserhaltende Medikamente wie Zytostatika oder Antiasthmatika als Luxusgut gelten“, heißt es dazu auch in einer einstimmig gefassten Entschließung der Kammerversammlung, in der die dauerhafte Absenkung des Mehrwertsteuersatzes gefordert wurde. In der Entschließung wird darauf verwiesen, dass in 24 von 27 EU-Mitgliedsstaaten ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel angewendet oder komplett auf eine Besteuerung verzichtet werde.

Die künftige Gestaltung der Weiterbildung angesichts von Krankhausreform und zunehmender Ambulantisierung ärztlicher Leistungen war ein weiteres wichtiges Thema der Kammerversammlung. Die Krankenhausreform führe zur zentralisierten Erbringung bestimmter medizinischer Leistungen, was aber bisher nicht bei der Organisation der ärztlichen Weiterbildung berücksichtigt werde, kritisierte Kammerpräsident Dreyer. „Zwar sieht das im letzten Jahr beschlossene Gesetz Kooperationsvereinbarungen zwischen Krankenhäusern ausdrücklich vor, nur leider nicht im Bereich der Weiterbildung.“ Die Ärztekammer werde sich in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Bund dafür einsetzen, dass bei Kooperationsverträgen zwischen Krankenhäusern mit dem Ziel der Erbringung bestimmter Leistungsgruppen verpflichtend auch die Möglichkeit der Weiterbildungsrotation zwischen den Häusern festgelegt wird. Die Kammerversammlung forderte dementsprechend in einer Entschließung klare gesetzliche Rahmenbedingungen für eine strukturierte ärztliche Weiterbildung. Grundsätzlich müsse man sich in diesem Zusammenhang aber mit der Frage auseinandersetzen, merkte Daniel Wellershaus (Wuppertal) an, wie man künftig den Weiterbildungsstandard aufrechterhalten könne, „wenn die Interessen aus Bürokratie und Ökonomie immer weiter voranschreiten und wir nur noch zu faktischen Leistungserbringern werden und nicht mehr auch zu Lernenden, zu sich in der Persönlichkeitsbildung Entwickelnden“. Auf den Sachverhalt der zunehmenden Ambulantisierung der Medizin ging Sebastian Exner (Stolberg) in einem Debattenbeitrag zum Thema Weiterbildung ein. „Wenn wir Versorgung sichern wollen, müssen wir endlich anerkennen, dass Medizin heute zu großen Teilen ambulant stattfindet und dass Weiterbildung das entsprechend abbilden muss. Wir können nicht erwarten, dass jüngere Kolleginnen und Kollegen die Versorgung von Morgen tragen, wenn die Strukturen von gestern ihnen nicht beibringen, was sie dafür brauchen.“ Eine dem aktuellen Versorgungsgeschehen entsprechende ambulante Weiterbildung sei eine Bedingung dafür, dass in zehn Jahren überhaupt noch ausreichend Ärztinnen und Ärzte in der Patientenversorgung zur Verfügung stehen werden.

Als großen Erfolg für die Ärzteschaft wertete der Präsident der Ärztekammer Nordrhein das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang November 2025, nach dem die Triage-Regelungen im Infektionsschutzgesetz von 2022 verfassungswidrig und nichtig sind. Er selbst gehörte zu den 14 Klägern, die mit Unterstützung des Marburger Bunds gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben hatten. Dreyer verwies in seinem Lagebericht insbesondere auf die Begründung des Gerichts, nach der mit den Regelungen zur Triage zu weit in die vom Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit der Ärzte eingegriffen werde. Der Beschluss stärke die ärztliche Berufsausübungsfreiheit, zu der insbesondere die Therapiefreiheit zähle. Es dürfe nun nicht ausgehend vom Urteil zu einem Flickenteppich gesetzlicher Regelungen ähnlicher Art in den Bundesländern kommen, betonte Dreyer. Er plädiere deshalb dafür, über die bestehenden Leitlinien der Fachgesellschaften hinaus mit der Erarbeitung von Richtlinien der Bundesärztekammer eine stärkere Regelungsverbindlichkeit in Erwägung zu ziehen.
 
In der Tat sei mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Stellung der Ärztinnen und Ärzte deutlich gestärkt worden, merkte dazu Dr. Stefan Schröter (Essen) in der Debatte zum Lagebericht an. Er verwies aber gleichzeitig auf ein wenige Wochen zurückliegendes Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem es um die zivilrechtliche Haftung von Ärztinnen und Ärzten bei Impfungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes oder von Empfehlungen der Ständigen Impfkommission gegangen sei. In der Urteilsbegründung sei ausgeführt worden, dass Ärztinnen und Ärzte in diesen Zusammenhängen hoheitliche Aufgaben anstelle des Staates ausüben würden. In dem Urteil werde von den Ärztinnen und Ärzten, so Schröter, als Erfüllungsgehilfen des Staates gesprochen. Dies scheine ihm mit der Eigenschaft des Arztes, ein freier Beruf zu sein, nicht vereinbar. 
 

Ärztliche Entscheidungsfreiheit gefährdet

Grundsätzlich wurde in einer Reihe von Redebeiträgen das allgemeine Unbehagen von Ärztinnen und Ärzten deutlich, nicht mehr frei über medizinische Maßnahmen entscheiden zu können – sei es aufgrund von ökonomischem Druck oder von bürokratischen Vorgaben. „Nicht wir müssen uns an die Gesetze adaptieren, sondern wir müssen Gesetze gestalten, die sich an unsere Bedürfnisse adaptieren“, brachte Dr. Oliver Funken (Rheinbach) diese allgemein spürbare Grundstimmung auf den Punkt. Nicht die Ärzteschaft sei an ihre Versorgungsgrenze gelangt, sondern die Rahmenbedingungen der Arbeit seien so weit gediehen, dass die Ressource ärztliche Arbeitskraft nicht mehr ausreichend in der Versorgung von Patientinnen und Patienten ankomme, kritisierte auch Dr. Nils Vogel (Frechen). Als einen Aspekt dieser Fremdbestimmung ärztlichen Handelns könnte man auch das Vordringen privater Investoren in ein solidarisch finanziertes Versorgungssystem betrachten. Man sollte genauer darauf achten, wohin Gelder aus diesem System ungebremst abfließen, betonte Kammerpräsident Dreyer. „Wir sehen seit Jahren, wie private Investoren medizinische und pflegerische Einrichtungen übernehmen und Gewinne durch Steuertricks abziehen, anstatt sie in Deutschland zu versteuern.“ Wenn sich hier monopolartige Strukturen bildeten, sei neben der Patientensicherheit letztlich auch die ärztliche Entscheidungsfreiheit gefährdet. Wenn profitorientierte Konzerne ihre Gewinne als Dividenden unbeschränkt aus dem Solidarsystem abziehen können, trage dies zum Milliardendefizit der GKV bei und gehöre auf den Prüfstand, forderte auch Eleonore Zergiebel (Düren).
 
Im Vorfeld der Kammerversammlung hatte die vom Vorstand der Ärztekammer Nordrhein beschlossene Verlegung von Büroeinheiten einiger Ärztekammer-Kreisstellen in bereits bestehende Servicezentren teilweise für Irritation und Verunsicherung bei Kreisstellenvorständen und -mitarbeitenden gesorgt. Der Kammerpräsident nahm im Lagebericht zu den Beweggründen des Vorstands zur Zusammenlegung von Büroeinheiten ausführlich Stellung. Nach ausgiebiger Debatte folgte die Kammerversammlung dem Vorstandskurs.

Einstimmig wurde die Änderung der Fortbildungsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte beschlossen, über die bei der vorigen Kammerversammlung noch kontrovers und ergebnislos debattiert worden war.  
 

Geordnete Finanzen 2026

Die Kammerversammlung hat den Jahresabschluss 2024 festgestellt und beschlossen, den Überschuss den Pensionsrückstellungen zuzuführen. Die Kammerversammlung folgte der Empfehlung des Finanzausschusses, den Vorstand für das Haushaltsjahr 2024 zu entlasten. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat der Ärztekammer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses, Dr. Wilhelm Rehorn, verwies bei seinen Ausführungen zum Jahresabschluss 2024 insbesondere auf die höhere Umlage zur Finanzierung der Bundesärztekammer und die Übernahme eines Fehlbetrags im Jahresabschluss der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung.

Auf der Grundlage des von der Kammerversammlung beschlossenen Haushaltsplans für das Jahr 2026 bleibt es weiterhin bei einem unveränderten Beitragssatz von 0,54 Prozent. Bei den Gebühreneinnahmen und den Kostenerstattungen wird für das Haushaltsjahr 2026 mit einer überproportionalen Steigerung von 10,7 Prozent gerechnet. Diese Steigerung ist – neben höheren Gebühreneinnahmen bei Fachsprachprüfungen oder bei der Anerkennung von Fortbildungsmaßnahmen – insbesondere auf die neuen Gebühren für die Prüfung der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen zurückzuführen, die nunmehr von der Ärztekammer übernommen werden. Bei den Personalausgaben ergibt sich gegenüber dem Jahr 2025 eine Steigerung um 4,3 Prozent, wobei eine geschätzte Tariferhöhung von zwei Prozent bei den Gehältern berücksichtigt wurde.

Gegenüber dem vorangegangenen Haushaltsjahr 2025 erhöht sich das veranschlagte Haushaltsvolumen um rund zwei Prozent auf 44,9 Millionen Euro.

Die Kammerversammlung beschloss auf gemeinsamen Vorschlag des Aufsichts- und des Verwaltungsausschusses der Nordrheinischen Ärzteversorgung (NÄV) eine Erhöhung der Versorgungsleistungen und Anwartschaften um 4,4 Prozent ab 1. Januar 2026. Außerdem stellte sie den Jahresabschluss 2024 der NÄV fest und entlastete deren Organe für das Geschäftsjahr 2024. Der Geschäftsbericht ist unter www.naev.de abrufbar.
 

Die Entschließungen der 4. Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein vom 22. November 2025 finden Sie im Wortlaut hier.

Neue Amtsperiode der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler

Das Auslaufen der 12. Amtsperiode der Gutachterkommission (GAK) am 30. November 2025 nahm Kammerpräsident Dr. Sven Dreyer zum Anlass, auf der Kammerversammlung allen Ärztinnen und Ärzten sowie Juristinnen und Juristen für die engagierte ehrenamtliche Arbeit in der GAK in den letzten fünf Jahren zu danken. Namentlich hob er Johannes Riedel, Präsident des Oberlandesgerichts a.D., hervor, der mehr als zehn Jahre Vorsitzender der GAK war und in dieser Zeit im Interesse der ärztlichen Selbstverwaltung dafür Sorge getragen hatte, Arzthaftungskonflikte zwischen Patienten und Ärzten erfolgreich außergerichtlich zu befrieden. Riedel ist Mitte November von seinem Amt zurückgetreten. Eine Staffelübergabe verkündete Dreyer bei der Position des Geschäftsführenden Kommissionsmitglieds. Mit Ablauf der 12. Amtsperiode werde Professor Dr. Hans-Friedrich Kienzle nach sieben Berufungsperioden als Kommissionsmitglied und seit dem Jahr 2011 als Geschäftsführendes Kommissionsmitglied ausscheiden.  Dreyer dankte Kienzle für das vertrauensvolle Miteinander und erinnerte daran, dass der Vorstand der Ärztekammer bereits im Jahr 2008 beschlossen hatte, Kienzle für sein langjähriges, fortwährendes Wirken in der ärztlichen Selbstverwaltung mit der Johannes-Weyer-Medaille auszuzeichnen. Kienzles Nachfolger wird in der 13. Amtsperiode mit Wirkung zum 1. Dezember Dr. Peter Kaup, Allgemeinarzt und Anästhesiologe aus Oberhausen, der seit 2016 als ehrenamtliches ärztliches Mitglied der GAK tätig ist. Kaup engagiert sich in vielfältiger Weise für die Ärztekammer Nordrhein: unter anderem als Vorsitzender der Kreisstelle Oberhausen, als Mitglied im Finanzausschuss und als Facharztprüfer.
 
Den Geschäftsbericht der Gutachterkommission erhielten die Delegierten der Kammerversammlung in schriftlicher Form.