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Entschließungen der Kammerversammlung am 8. März 2014 im Wortlaut


Ärztekammer Nordrhein gegen Diskriminierung von Patienten durch Benachteiligung nach Wohnort

Die Kammerversammlung begrüßt die im Koalitionsvertrag niedergelegte Absicht der neuen Bundes­regierung, unbegründete Unterschiede in der ambulanten ärztlichen Vergütung aufzuheben und zu prüfen, wie dies gestaltet werden kann.Die ambulante vertragsärztliche Versorgung leidet in Nordrhein seit dem Jahr 2009 unter solchen unbegründeten Unterschieden im Vergleich zu anderen Regionen. Obwohl die Versicherten in Nord­rhein-Westfalen den gleichen Beitragssatz zahlen wie alle anderen Versicherten im Bundesgebiet, sind Nordrhein und Westfalen seit Jahren bei der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung je Ver­sichertem schwerwiegend und fortlaufend benachteiligt. Die Kammerversammlung appelliert deswegen an die neugewählten Akteure in Bundesregierung und Bundestag, im Sinne des Koalitionsvertrages schnell für eine bundesweite Vergütungsgerechtigkeit zu sorgen und die Diskriminierung der Versicherten nach Wohnort zu beenden.


Schieflage bei der Krankenhausfinanzierung beenden

Die Ärztekammer Nordrhein fordert den Bundesgesetzgeber zu einer umfassenden Reform des der­zeitigen Fallpauschalensystems (G-DRG-System) zur Finanzierung der Krankenhäuser und Univer­sitätskliniken auf. Das künftige Entgeltsystem muss die Tarifsteigerungen für Ärztinnen, Ärzte und Angehörige der Gesundheitsfachberufe zu 100 Prozent refinanzieren. Darüber hinaus sind aktuelle Kostenentwicklungen realistisch zu erfassen und zeitnah bei der Vergütung zu berücksichtigen. Extremkostenfälle müssen sachgerecht abgerechnet werden können. Die sichere Versorgung der Bevölkerung in strukturschwachen Gebieten ist durch Vergütungszuschläge zu gewährleisten. Krankenhausträger und Kostenträger sollen die Möglichkeit erhalten, in regionalen und lokalen Ver­handlungen dem spezifischen Versorgungsbedarf vor Ort gerecht zu werden. Die Kammerversammlung fordert darüber hinaus die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf, sich im Rahmen der geplanten Bund-Länder-Arbeitsgruppe für eine Reform der Investitionsfinanzie­rung einzusetzen und ihren Verpflichtungen im Lande in angemessenem Umfang nachzukommen.


Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

Die Kammerversammlung fordert die Bundesregierung auf, ihrer Verantwortung als Verordnungs­geber für die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gerecht zu werden und gemeinsam mit der Bundes­ärztekammer auf eine schnelle Novellierung hinzuwirken. Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten sowie Versicherungen benötigen dringend wieder eine zeitgemäße GOÄ, die die ärztlichen Leistungen fair, transparent und sektorenübergreifend abbildet. Die Kammerversammlung fordert, die GOÄ auch weiterhin als rein ärztliche Gebührenordnung aus­zugestalten. Dabei ist im Sinne der getroffenen Rahmenvereinbarung an den Grundsätzen der Einzelleistungsvergütung und der persönlichen Leistungserbringung sowie an der Möglichkeit von Analogbewertungen festzuhalten. Eine gute Patientenversorgung setzt außerdem leistungsgerechte Honorare voraus. Die Kammerversammlung begrüßt die zwischen Bundesärztekammer und Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) getroffene Rahmenvereinbarung zur Novellierung der GOÄ. Die Kammerversammlung begrüßt ausdrücklich das Bemühen der beteiligten Versicherungsunter­nehmen, diesen Geschäftsbereich entgegen vieler politischer Strömungen in Deutschland zu erhalten und zu stärken und so den Bürgern eine freiheitliche Wahloption für die Absicherung eines Indivi­dualrisikos fortzuentwickeln.

Sie fordert den PKV-Verband auf, schnellstmöglich mit der Bundesärztekammer eine Neufassung des Leistungsverzeichnisses der GOÄ auf der Basis des von der BÄK erarbeiteten Novellierungs­vorschlages zu konsentieren. Nur so kann die Fortentwicklung der Medizin nach über 20 Jahren wieder in der GOÄ korrekt abgebildet werden. Zugleich muss die GOÄ insbesondere die unmittelbare ärztliche Zuwendung zum Patienten in Anamnese, Untersuchung, Beratung und Behandlung stärken.

Sie fordert den Verordnungsgeber auf, auch zum Schutz der Beihilfeberechtigten die Novellierung zu unterstützen und leistungsgerecht auszugestalten und nicht zu Lasten der Beamtinnen und Beamten auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sparen zu wollen.


Kein Streikverbot für Ärztinnen und Ärzte - Nordrheinische Ärztinnen und Ärzte unterstützen Online-Petition

Die Kammerversammlung der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte ruft alle Kolleginnen und Kollegen sowie Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die Online-Petition „Rettet die Gewerkschaftsfreiheit – Kein Streikverbot per Gesetz“ auf der Internetplattform „openPetition“ ( www.freie-gewerkschaften.de) zu unterzeichnen.


Gute Qualität nachhaltig fördern ohne Bürokratieexzesse

Die Kammerversammlung begrüßt die Absicht der neuen Bundesregierung, Qualität ins Zentrum ihrer Gesundheitspolitik zu stellen. Ärztinnen und Ärzte leiden seit Langem darunter, dass im Gesundheitswesen zu oft Markt und Ökonomie die Frage nach der bestmöglichen Patientenversorgung überlagern.

Das Bemühen um Qualität darf jedoch nicht zu einer Bürokratie führen, die der eigentlichen Patientenversorgung noch mehr Zeit und Ressourcen entzieht. Neue Institutionen und der Aufbau weiterer Dokumentations- und Nachweispflichten müssen deswegen vorab sehr kritisch auf ihren tatsächlichen Nutzen für eine Verbesserung der Versorgung geprüft werden.

Denn Qualität lebt nicht zuerst von Bürokratie und Kontrollen, sondern vielmehr von guten Voraussetzungen für ärztliches und pflegerisches Handeln. Aus diesem Grund kommt es besonders auf eine ausreichende personelle Ausstattung mit gut qualifizierten Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften an. Die Ankündigung des Koalitionsvertrages auf Bundesebene, Personalkosten künftig in ausreichender Höhe und Gewichtung in der DRG-Kalkulation zu berücksichtigen, muss deswegen zügig Realität werden.

Schon heute müssen Krankenhäuser und Arztpraxen in vielen Bereichen aufwändige Qualitätsnachweise erbringen, um bestimmte Vergütungen im DRG- oder EBM-System zu erhalten. Dort, wo es die bestehenden Rahmenbedingungen für versorgungsnotwendige Krankenhäusern oder Arztpraxen schwer machen, Qualitätsanforderungen zu erfüllen, darf es nicht zu einer weiteren Verschärfung, z.B. über Pay-for-Performance-Ansätze, kommen.

Stattdessen sind Krankenhäuser und Arztpraxen finanziell so auszustatten, dass sie ihrem Versorgungsauftrag mit guter Qualität nachkommen können. Die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene formulierten Absichten zu Sicherstellungszuschlägen und zur Finanzierung von Vorhaltekosten sind deswegen zu begrüßen und zügig umzusetzen.


Motivieren statt frustrieren - gute Rahmenbedingungen für den ärztlichen Nachwuchs

Die Kammerversammlung tritt entschieden allen Versuchen von Seiten der gesetzlichen Kranken­kassen entgegen, die engagierte Arbeit der Beschäftigten im Gesundheitswesen öffentlich schlecht­zureden.

Wer mit veralteten Hochrechnungen über Behandlungsfehler Ängste schürt oder versucht, die Nachwuchsprobleme in der ärztlichen Versorgung schlicht zu leugnen, schadet dem solidarischen Gesundheitswesen in Deutschland und konterkariert die Bemühungen vieler Beteiligter, junge Ärztinnen und Ärzte für eine langfristige Tätigkeit in der Patientenversorgung zu gewinnen.

Der ärztliche Nachwuchs darf jedoch nicht frustriert, sondern soll im Gegenteil motiviert werden. Dies wird nur über eine nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit in Klinik und Praxis gelingen.

Dabei muss den veränderten Erwartungen junger Ärztinnen und Ärzte an die berufliche Tätigkeit und an die Vereinbarkeit mit dem Privatleben und der Familie Rechnung getragen werden. Neue Kinder­betreuungs- und flexible Arbeitszeitmodelle, die zum Teil bereits erprobt sind, müssen flächen­deckend durchgesetzt werden. Außerdem muss das Thema „Bürokratieabbau“ im Gesundheitswesen endlich ernsthaft angegangen werden. Die Kammerversammlung begrüßt dazu das „Arztpraxen­projekt“ des Nationalen Normenkontrollrates (siehe Anlage sowie Vortrag „Weniger Bürokratie wagen?“ unter www.aekno.de/rheinischer-aerztetag).

Die Kammerversammlung fordert Politik und Selbstverwaltung auf, Rahmenbedingungen für die ärzt­liche Tätigkeit herzustellen, die es jungen Ärztinnen und Ärzten leicht machen, sich auch mit Familie in der Patientenversorgung zu engagieren.


Hilfe zum Leben - Sterben in Würde

  1. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein bittet die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, jede Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen.
  2. Die Kammerversammlung bekräftigt angesichts der seit Jahresbeginn intensiv geführten öffentlichen Debatte über Sterbehilfe, dass Ärztinnen und Ärzte aus berufsethischen Gründen nicht an Selbsttötungen mitwirken und schon gar nicht dazu gesetzlich verpflichtet werden dürfen.

Arzneimitteltherapiesicherheit

Die Kammerversammlung betont die Bedeutung der Arzneimitteltherapiesicherheit für eine gute und sichere gesundheitliche Versorgung von Patientinnen und Patienten, wie dies in der Entschließung der 21. Landesgesundheitskonferenz von Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck kommt. Ärztinnen und Ärzte nehmen ihre Verantwortung hinsichtlich Indikationsstellung, Verordnung und Überprüfung der Medikation im informierten Einverständnis mit dem Patienten wahr. Mit dem Ziel einer umfassenden Arzneimitteltherapiesicherheit suchen Ärztinnen und Ärzte die Kooperation mit Apothekern, Pflegekräften, Angehörigen und engagieren sich für eine „Sicherheitskultur“, wie sie beispielhaft im Projekt „CIRS NRW“ verwirklicht wird. Im Mittelpunkt aller Bemühungen müssen die Patientinnen und Patienten selbst stehen. Sie sind in die Lage zu versetzen, ihre Medikation zu kennen und Änderungen nachvollziehen zu können. Dazu trägt der „Medikationsplan NRW“ bei, den die Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen in Absprache mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft erproben werden. Als Hindernis für die Bemühungen vieler Beteiligter, eine sichere und für den Patienten transparente Arzneimitteltherapie zu realisieren, sieht die Kammerversammlung die Rabattvertragsregelungen der Gesetzlichen Krankenkassen. Den von den Kassen angegebenen unmittelbaren Einsparungen durch Rabattverträge steht die tag­tägliche und auch durch Studien untermauerte Erfahrung von Ärztinnen und Ärzten gegenüber, dass Rabattverträge zur Verunsicherung von Patientinnen und Patienten, zu Einnahmeproblemen, Thera­pieabbrüchen und Lieferengpässen führen können. Daraus resultieren nicht nur Kosten im Gesundheitswesen, die den angegebenen Einsparungen durch die Rabatte gegenüberzustellen sind, sondern vor allem auch Risiken für die Arzneimittel­therapiesicherheit, gerade bei älteren Patientinnen und Patienten. Die Kammerversammlung begrüßt vor diesem Hintergrund die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene formulierte Absicht, die Rabattvertragsregelungen zur Vermeidung von Lieferengpässen und mit Blick auf medizinisch gebotene Austauschverbote (Substitutionsliste) zu ändern. Die Kammerversammlung fordert die Bundesregierung auf, darüber hinaus auch die Rabattvertrags­regelungen insgesamt kritisch zu überprüfen und dabei den Gesichtspunkten der Patientenauto­nomie und der Arzneimitteltherapiesicherheit besondere Aufmerksamkeit zu widmen.


Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen niedergelassenen Ärzten und Medizinischen Versorgungszentren unter der Leitung von Krankenhäusern

Der Gesetzgeber wird aufgefordert, für gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen zwischen selbstständigen Vertragsärzten und von Kliniken geführten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) Sorge zu tragen. Es muss sichergestellt sein, dass von Kliniken betriebene MVZ sich allein auf Grundlage dort durchgeführter ambulanter Behandlungen wirtschaftlich tragen. Eine Subventionierung von MVZs durch Gewinne aus stationärer Behandlung ist abzulehnen. Die Notwendigkeit dieser Forderung ergibt sich

  • aus Gründen fairer Chancengleichheit verschiedener Versorgungsstrukturen und -anbieter untereinander
  • aufgrund eines ordnungspolitischen allgemeinen Interesses an einer wirtschaftlich sinnvollen und effizienten Versorgung
  • daraus, dass MVZ nicht primär als Ein- oder Zuweiserportale für Kliniken besonders von Gesundheitskonzernen fungieren, sondern tatsächlich einer Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung dienen sollen.  

Gute Rahmenbedingungen für die Ärzte in Klinik und Praxis

Ärztliche Autonomie und die Einhaltung ethischer Standards sind Grundvoraussetzung der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis. Eine humane Patientenversorgung setzt eine freie und unabhängige Arzt-Patientenbeziehung voraus. Die ärztliche Autonomie wird in Klinik und Praxis zunehmend beschnitten. Damit wird die Rolle des Arztes als unabhängiger Anwalt seiner Patienten in Frage gestellt. Entfremdung vom ärztlichen Selbstverständnis und berufliche Unzufriedenheit sind die Folgen. Zum Erhalt der Autonomie gehört wesentlich, daß die Voraussetzung für eine ausreichende Wirtschaftlichkeit ärztlicher Arbeit in Klinik und Praxis gesichert sein muß. Zu den notwendigen Rahmenbedingungen gehört ebenso eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und eigener Gesundheit der Ärztin/des Arztes. Die Kammerversammlung fordert Politik und Selbstverwaltung auf, diese Rahmenbedingungen zu garantieren. Sie fordert, sich aktiv gegen Fremdbestimmung der ärztlichen Arbeit in Klinik und Praxis einzusetzen und die finanzielle Basis für freiberuflich tätige Ärzte zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Sie fordert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und sie fordert, die Arbeitsbedingungen in der Klinik und die Voraussetzungen für die Arbeit in der freien Praxis so zu gestalten, daß die körperliche und seelische Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten selbst nicht gefährdet wird.