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Entschließungen der Kammerversammlung am 19. November 2011 im Wortlaut


Die Gesundheitsversorgung in NRW stark machen

1. Die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung in NRW stellen

Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens stehen die Patientinnen und Patienten mit ihrem Anspruch auf eine gute gesundheitliche Versorgung. Die aktuellen Rahmenbedingungen machen es Ärztinnen und Ärzten immer schwerer, sich bei Diagnose und Behandlung ausschließlich am Wohl der Patientin oder des Patienten auszurichten.

Die Kammerversammlung begrüßt deswegen die Absicht der Landesregierung, eine/n Patientenbeauftrage/n zu bestellen. Sie sieht darin eine Chance, den berechtigten Versorgungsansprüchen von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber den immer übermächtiger werdenden Ökonomisierungs- und Bürokratisierungstendenzen im Gesundheitswesen eine Stimme zu verleihen.

Den auf Landesebene geplanten Schritt der Bestellung einer/s Patientenbeauftragen hat die Ärztekammer Nordrhein mit der Einrichtung der Stelle eines eigenen, unabhängigen Patientenrechtebeauftragten bereits vollzogen.

Der Patientenrechtebeauftragte der Ärztekammer Nordrhein stärkt die Gemeinwohl- und Patientenorientierung der Kammer und wird sowohl bei den Grundsatzfragen der Aufgabenwahrnehmung durch die Kammer als auch bei der Diskussion über die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen ein wichtiges Gegenüber für die Organe der Kammer sein.

2. Die finanzielle Benachteiligung der Patientinnen und Patienten in NRW beenden

Für die ärztliche Versorgung steht in NRW sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich deutlich weniger Geld je Versichertem zur Verfügung als in den anderen Bundesländern.

Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Die Patientinnen und Patienten in NRW sind nicht weniger auf eine verlässliche Versorgung angewiesen als die Menschen in Bayern oder Berlin.

Die Kammerversammlung unterstützt deswegen ausdrücklich die Initiativen der Kassenärztlichen Vereinigungen in NRW und des Landesverbandes der Praxisnetze NRW zur Angleichung der ambulanten ärztlichen Vergütung je Versichertem.

Eine angemessene und im Bundesvergleich faire Vergütung für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und für die Krankenhausbehandlung entscheidet über die künftige Qualität und die flächendeckende Erreichbarkeit der Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

Deswegen muss die Benachteiligung von NRW sowohl bei den Vergütungen im ambulanten Bereich als bei den Basisfallwerten der Krankenhäuser beendet werden.

Die Kammerversammlung dankt der NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens ausdrücklich dafür, dass sie auf der Bundesebene entschieden für diese Anliegen eintritt.

3. Die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundeslandes NRW stärken

Die immer stärkere Prägung der Versorgungsstrukturen in den Ländern durch Vorgaben von der Bundesebene hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten nachteilig auf die Versorgung ausgewirkt. Der Gesetzentwurf zum Versorgungsstrukturgesetz zeigt nun nach Jahren einer andersgerichteten Politik erstmals Ansätze, die grundgesetzlich verankerte Verantwortlichkeit der Bundesländer für die Versorgungsstrukturen zu stärken.

Diese Ansätze gehen jedoch aus Sicht der Kammerversammlung nicht weit genug, um den Bundesländern den notwendigen Gestaltungsspielraum zurückzugeben. Die Kammerversammlung unterstützt deswegen die Forderungen der Bundesländer nach Stärkung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten im Versorgungsstrukturgesetz.

Zugleich begrüßt die Kammerversammlung die Ankündigung der NRW-Gesundheitsministerin, den mit dem aktuellen Gesetzentwurf ermöglichten begrenzten Spielraum auszuschöpfen und ein Gremium zu sektorübergreifenden Koordination der Versorgungsstrukturen auf Landesebene einzurichten. Die Ärztekammer Nordrhein sieht ihre Verantwortung darin, in einem solchen Gremium den ärztlichen Sachverstand unabhängig von sektorspezifischen Interessen einzubringen. Dazu sind die Ärztekammern in NRW in dem sektorübergreifenden Gremium mit Sitz und Stimme zu beteiligen.

Ebenso begrüßt es die Kammerversammlung, dass die Gesundheitsministerin den fast zwei Jahre unterbrochenen Prozess zur Aufstellung eines zeitgemäßen Krankenhausplans für NRW entschlossen wieder aufgenommen hat. Die Kammer wird ihre Möglichkeiten als unmittelbar Beteiligte im Landesausschuss für Krankenhausplanung nutzen, um zu einer zügigen Fertigstellung eines an der Versorgungsqualität orientierten Krankenhausplanes beizutragen.

4. Die Gesundheitsversorgung in NRW sektorübergreifend und regional gestalten

Die Kammerversammlung hat wiederholt bessere Rahmenbedingungen für eine sektorübergreifende Versorgung gefordert. Die bisherigen gesetzgeberischen Maßnahmen haben dieses Ziel jedoch verfehlt. Dies gilt insbesondere für die sektorübergreifende Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen oder Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen (§ 116 b SGB V).

Die Kammerversammlung befürwortet eine sektorunabhängige spezialfachärztliche Behandlung durch niedergelassene Ärzte oder durch Krankenhäuser, wenn damit das bisherige regionale Versorgungsangebot sinnvoll ergänzt und die sektorübergreifende Kooperation gefördert wird und somit eine reale Verbesserung der Patientenversorgung resultiert.

Andererseits ist eine solche spezialfachärztliche Behandlung abzulehnen, wenn sie zu einer ruinösen Konkurrenzsituation, zu kontraproduktiven Doppelstrukturen, zu einer Verschlechterung der sektorübergreifenden Kooperation und damit der Patientenversorgung führt.

Die Abwägung dieser Aspekte erfordert den Sachverstand und das regionale Versorgungswissen der Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis. Deshalb ist die Einbeziehung der Ärztekammern bei den Entscheidungsprozessen zur ambulanten Krankenhausbehandlung im Interesse der Qualität und geeigneter regionaler Versorgungsstrukturen unverzichtbar.

Die Kammerversammlung fordert die politisch auf Bundes- und Landesebene für die Ausgestaltung und die Umsetzung des § 116 b SGB V Verantwortlichen auf, eine ausreichende Berücksichtigung der regionalen Versorgungssituation durch die Einbeziehung der Ärztekammern sicherzustellen.


Zweitmeinungsportale im Internet

Die Kammerversammlung beauftragt den Vorstand, sich mit der Problematik bestehender Zweitmeinungsportale im Internet in medizinischer, ethischer und juristischer Hinsicht auseinanderzusetzen und ihre Mitglieder über den Umgang mit solchen Portalen zu informieren. Die Kammerversammlung bittet den Vorstand darüber hinaus ggf. eine juristische Prüfung der Abrechnungsmodalitäten solcher Plattformen vorzunehmen.


Antibiotika in der Geflügelmast

Die Kammerversammlung fordert die Landesregierung auf, die Voraussetzungen zu schaffen, dass das Verfüttern von Antibiotika in der Geflügelmast untersagt wird (zum Beispiel per Rechtsverordnung).


Organspende-Städtewettbewerb

Die Ärztekammer hat für die von Krankenkassen veranstalteten Organspende-Städtewettbewerbe kein Verständnis. Sie lehnt diese Art des Umgangs mit dem Thema Organspende als unangemessen ab.

Die Organspende an sich sowie die Aufklärung ist ein hoch ethischer Akt, der in dem Führen eines Organspendeausweises dokumentiert wird. Das muss im Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit stets zum Ausdruck kommen.


Information der Kammerversammlung über die Umsetzung bisheriger Beschlüsse

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Vorstand auf, ein Procedere zu beschließen, das bei künftigen Kammerversammlungen eine Berichterstattung über die Umsetzung der Beschlüsse der jeweils vorhergehenden Kammerversammlung, einschließlich der an den Vorstand überwiesenen Anträge, beinhaltet.


Dezentrale Patientenakte in der Hand des Patienten weiter verfolgen

Das Gesetz zur Einführung einer Telematik im Gesundheitswesen sieht vor (§ 291 SGB V, 3. ÄndV zur eGK), dass eine dezentrale Patientenakte - in der Hand des Patienten - als Alternative zu zentralen Speichermedien verpflichtend zu erproben ist.

Die Kammerversammlung fordert den Vorstand der Ärztekammer Nordrhein und die BÄK als Gesellschafter der Gematik auf, eine solche Erprobung zügig in die Wege zu leiten. Beispiel für eine solche dezentrale Akte, die auch notfalldatensatzfähig ist, kann eine dezentrale USB-Akte in der Hand des Patienten sein, so wie sie neulich mit dem Innovationspreis des Landes NRW ausgezeichnet wurde.


Schaffung des Arztberufes würdiger Honorar- und Arbeitsbedingungen in der ambulanten GKV-Versorgung 

Im Oktober 2011 bemerkte der Präsident der Bundesärztekammer, F.-U. Montgomery in Düsseldorf: "Wenn Sie es von außen betrachten, dann wirkt das vertragsärztliche Abrechnungssystem wie ein in sich geschlossenes Wahnsystem".

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein schließt sich dieser Meinung des BÄK-Präsidenten an.

Die Höhe der Kassenhonorare, das Verteilungssystem und die Gefahr Existenz bedrohender Regresse auch bei leitliniengerechter Therapie sind mit der Würde des Arztberufes nicht vereinbar. Diese Faktoren sind geeignet, den bestehenden Ärztemangel zu verschärfen und die psychische und physische Gesundheit der Vertragsärzte zu bedrohen.

Die Kammerversammlung fordert daher den Vorstand der ÄKNo auf, innerhalb des ihr gesetzlich möglichen Rahmens Aktivitäten von einzelnen Kassenärzten und Verbänden von Kassenärzten zu unterstützen, die zum Ziel haben, den Arztberuf wieder so ausüben zu können, dass die Interessen der Patienten im Mittelpunkt stehen und nicht die Vorgaben von Behörden und Krankenkassen. Hierzu gehört zwingend, dass eine solche Behandlung für niedergelassene Ärzte wirtschaftlich und Existenz sichernd möglich sein muss.


Dienstverträge von leitenden ÄrztInnen

Die Kammerversammlung Nordrhein beauftragt den Vorstand, ein Verfahren zu entwickeln, welches sicherstellt, dass Dienstverträge für Ärzte in leitenden Positionen sowohl im privatrechtlichen als auch im öffentlich-rechtlichen Bereich im Einklang mit der ärztlichen Berufsordnung stehen. Insbesondere ist hierbei sicherzustellen, dass Ärzte keinerlei ökonomischen Zwängen unterworfen werden wie etwa Zielvorgaben, die zu Indikationserweiterung führen können oder einen Zwang zum upcoding implizieren. Zudem muss die Weiterbildung ärztlichen Vorgaben folgen und nicht von Seiten der Arbeitgeber beeinflusst werden.