Vorlesen
Coronapandemie

Die Lebensqualität der Kinder hat sich verschlechtert – psychisch, physisch und sozial

Programm des 9. Kammerkolloquiums Kindergesundheit
Das Kammerkolloquium fand nach zwei Jahren Coronapandemie erstmalig wieder in Präsenz statt. © Martin Bornemeier

Düsseldorf, 24.11.2022. Eine Coronainfektion verläuft bei Kindern und Jugendlichen meist milde, zumindest wenn sie ansonsten gesund sind. Mit einem Verlust an Lebensqualität und Gesundheit haben jedoch viele die Lockdown-Maßnahmen mit Kontaktbeschränkungen sowie Schul- und Kitaschließungen zur Eindämmung der Pandemie bezahlt. Mitte November befasste sich das 9. Kammerkolloquium Kindergesundheit im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf mit den Folgen der COVID-19-Pandemie für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Auch auf die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission und den Umgang mit Long-COVID in dieser Altersgruppe gingen die Experten ein.

Gesunde Kinder mit akuter COVID-19-Erkrankung hätten in der Regel eine geringe Krankheitslast. Vor allem Kinder im Kindergartenalter wiesen wenige Symptome auf, erklärte Professor Dr. Stefan Wirth, bis vor Kurzem Chefarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Wuppertal. Bei mehr als 7,3 Millionen Infektionen – bei hoher Dunkelziffer – habe es dem Robert Koch-Institut zufolge in der Altersgruppe bis 19 Jahre bislang circa 100 Todesfälle gegeben. Die indirekten Auswirkungen der Pandemie auf die körperliche und psychische Gesundheit vieler Kinder und Jugendlicher seien jedoch zum Teil dramatisch. „Ein Jahr reicht aus, damit bei Kindern im Vorschulalter der Förderbedarf mit Blick auf die sprachliche, motorische und sozio-emotionale Entwicklung steigt“, so Wirth. Das gelte insbesondere für bildungsferne Familien in schwierigen sozialen Verhältnissen. In allen Altersgruppen habe sich zudem gezeigt, dass sich vor allem der Gesundheitszustand vorbelasteter Kinder und Jugendlicher in der Pandemie weiter verschlechtert habe. Zumal nach Informationen von Kaija Elvermann, der ärztlichen Leiterin des Gesundheitsamtes des Oberbergischen Kreises, sozio-demografische Faktoren das Infektionsgeschehen beeinflusst haben und deshalb zielgruppenspezifische Maßnahmen erforderten.

Über eine Zunahme von psychischen Auffälligkeiten, depressiven Symptomen und Ängsten bei Kindern und Jugendlichen infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie berichtete Professor Dr. phil. Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. In Deutschland habe man einen Anstieg bei der Inanspruchnahme von kinder- und jugendpsychiatrischen Angeboten sowie Klinikeinweisungen beobachtet. Ravens-Sieberer ist Mitautorin der COPSY-Studie (Corona und Psyche), die die Auswirkungen der Coronapandemie auf die psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen untersucht. Wiederholte Befragungen von 1.700 Eltern und mehr als 1.000 Kindern und Jugendlichen belegten, dass sich die Mehrheit der befragten Kinder auch eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie noch belastet fühle. So habe beispielsweise das Verhältnis zu Freunden gelitten, viele empfänden das Lernen als anstrengender als vor der Pandemie und ein Viertel der Kinder berichte über häufigere Streitigkeiten zu Hause. Auch die Zahl der psychosomatischen Beschwerden habe zugenommen, darunter Einschlafprobleme, Kopfschmerzen sowie Bauch- und Rückenschmerzen. Kinder und Jugendliche, die Halt in der Familie fänden und eine feste Alltagsstruktur hätten, litten weniger häufig an psychischen Auffälligkeiten. Man tue deshalb gut daran, auch das Befinden der Eltern in den Blick zu nehmen, so Ravens-Sieberer.

Den bestmöglichen Schutz vor schwerer Erkrankung, Hospitalisation und Tod auch bei neu auftretenden Varianten des Coronavirus erzeuge ein hybrider Immunschutz durch Impfung und Infektion, erklärte Dr. Martin Terhardt, Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Nach drei bis vier Kontakten mit dem Virus entweder durch Impfung oder Infektion gelte der Schutz vor schwerer Erkrankung als sehr gut. Die aktuellen Impfempfehlungen der STIKO finden sich auf der Webseite des RKI und in der STIKO-App.

Weniger genaues weiß man hingegen über die Ursachen und die Prävalenz von Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen. Insgesamt gehe man davon aus, dass ein Viertel der Kinder nach einer Coronainfektion „in irgendeiner Form“ von Long-COVID betroffen sei, sagte Dr. Lynn Eitner, Fachärztin für pädiatrische Neurologie an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendmedizin in Bochum. Dabei sei das Spektrum der Beschwerden breit und Diagnostik und Therapie entsprechend kompliziert. Umso wichtiger sei es, dass die unterschiedlichen Fachdisziplinen gut zusammenarbeiteten. Dr. Folke Brinkmann, kommissarische Leiterin der Abteilung für pädiatrische Pneumologie am Universitätsklinikum Bochum, wies darauf hin, dass für Long-COVID typische Beschwerden wie zum Beispiel Fatigue, Kopfschmerzen oder verminderte Belastbarkeit auch als reine Pandemieeffekte bei nicht coronainfizierten Kindern und Jugendlichen auftreten (Post-Lockdown-Syndrom). Das treffe allerdings nicht auf Beschwerden wie Dyspnoe sowie Geruchs- und Geschmacksverlust zu und erklärt auch nicht die von Eitner publizierten Daten zu somatosensorischen Funktionsstörungen des peripheren Nervensystems, die in einer Studie bei 81 Kindern und Jugendlichen mit einer Coronainfektion zu einem Drittel im Vergleich zur Kontrollgruppe nachweisbar waren. Brinkmann verwies allerdings auch darauf, dass die Selbstheilungsrate bei Long-COVID hoch sei. Nur selten benötigten Betroffene eine spezialisierte somatische, psychologische oder psychiatrische Behandlung.

Einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung lesen Sie in der Januarausgabe des Rheinischen Ärzteblatts.

Empfehlungen der STIKO

COVID-19 Forschungsplattform für Kinder und Jugendliche

MBO


Kontakt zur Pressestelle

Pressesprecherin: Sabine Schindler-Marlow
0211 / 4302 2010

stellv. Pressesprecherin: Heike Korzilius
0211 / 4302 2013

pressestelle(at)aekno.de