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2. Gesprächstechniken


2.1. Festlegen von Zeitgrenzen und Themen

Gerade bei Patientinnen und Patienten, die die Abläufe in einer Praxis oder in einer Ambulanz noch nicht kennen, ist es hilfreich, gleich zu Beginn anzusprechen, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Falls der Arzt / die Ärztin bereits eine fixe Agenda hat, sollte dies am Anfang mit dem Patienten / der Patientin besprochen und geklärt werden, welche Punkte der Patient / die Patientin von sich aus besprechen möchte. Ein solcher Einstieg in das Arzt-Patienten-Gespräch ist bereits eine Chance für eine gemeinsame Entscheidungsfindung.

Während des Gespräches findet immer wieder ein Wechsel zwischen patienten- und arztzentrierter Gesprächsführung statt; dies folgt im Idealfall dem Ausmaß der Konkretisierung ärztlicher Hypothesen: Wenn die patientenzentrierte Gesprächsphase ausreichend Material generiert hat, um Hypothesen zu formulieren, werden diese in einem arztzentrierten Gesprächsabschnitt verifiziert, münden unter Umständen in weiterführende Hypothesen ein, die dann in einem wiederum patientenzentrierten, allerdings mehr fokussierten Gesprächsteil vom Patienten / von der Patientin aufgegriffen und weitergeführt werden. Dieser Wechsel bedingt unterschiedliche Redestile des Patienten / der Patientin: Es wird zwischen freier Rede im Narrativ und kurzer, präziser Rede im Bericht hin- und hergewechselt. Diese Abschnitte sollten der betroffenen Person als Themen- und Stilwechsel bekanntgegeben werden, damit sie sich in ihrem Sprachduktus entsprechend verhalten kann.


2.2. WWSZ-Techniken

Mit dem Akronym WWSZ werden vier typische Techniken der patientenzentrierten Gesprächsführung beschrieben: das Warten, das Wiederholen und das Spiegeln, um den Raum zu öffnen beziehungsweise offen zu halten. Das Zusammenfassen dient zum einen der Qualitätskontrolle der Ärztinnen und Ärzte und zum anderen hilft es, den Gesprächsablauf zu strukturieren.

Beim Warten besteht die große Herausforderung darin herauszufinden, wie lange eine Pause dauern darf, ohne dass eine bedrückende Stille entsteht. Eine Faustregel besagt, dass Pausen bis zu drei Sekunden Länge nicht als unangenehm erlebt werden. Damit die Pause beziehungsweise das Warten als Einladung verstanden wird, muss die Aufmerksamkeit des Arztes / der Ärztin auf den Patienten / die Patientin ausgerichtet bleiben, was sich vor allem durch Augenkontakt manifestiert.

Selbstverständlich hat eine Pause noch andere rhetorische Funktionen, die sich auch in der Arzt-Patienten-Kommunikation einsetzen lassen. Die erste Funktion des Wartens ist die Einladung: Patientinnen und Patienten erhalten die Möglichkeit, in Ruhe darüber nachzudenken, ob sie noch mehr sagen können oder wie sie ihre Anliegen formulieren möchten. Das gleiche Recht können allerdings auch Ärztinnen und Ärzte beanspruchen, wenn sie nach einer überraschenden oder besonders beeindruckenden Patientenäußerung eine Pause entstehen lassen, in der sie das Gehörte verarbeiten möchten. Wenn sie ihren Eindruck formulieren, sollten sie darauf achten, dass die eigene Betroffenheit nicht so viel Raum einnimmt, dass Patientinnen und Patienten ihreneigenen Erzählduktus nicht mehr fortsetzen können.

Die beiden folgenden Funktionen stammen aus der rhetorischen Werkzeugkiste: Pausen dienen dem Hochstufen von Äußerungen, indem sie entweder vorangegangene oder nachfolgende Äußerungen bedeutsamer erscheinen lassen. Besonders auffallend wird das Fehlen einer hochstufenden Pause im Anschluss an eine Äußerung, mit der Ärztinnen und Ärzte Mitgefühl gezeigt haben, zum Beispiel mit einem Satz wie: „Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie das sehr beeinträchtigt.“ Wenn diese Äußerung ohne Pause gefolgt wird von einer Über-leitung zum nächsten Thema („Jetzt wüsste ich gerne noch, wie Ihnen die neuen Tabletten bekommen“), wird die erste Äußerung entwertet, sie wird tiefer gestuft.

Beim Wiederholen werden Worte wiederholt, die der Patient / die Patientin gerade geäußert hat; dies ist nur dann sinnvoll, wenn ein stockender Redefluss wiederbelebt werden soll:

Patientin: „Na ja, und dann meinte mein Mann, ich solle doch mal mit Ihnen darüber reden, ob das vielleicht vom Herzen kommen könnte.“
P.: Schaut den Arztan und schweigt. [Offenkundig erwartet sie jetzt eine Aktion des Arztes]
Arzt: „Vom Herzen?“
P.: „Na ja, weil es bei ihm mit dem Herzen ganz ähnlich angefangen hat. Der hatte auch immer so ein Kältegefühl im Unterkiefer und so einen Druck in der Brust, und hinterher war’s dann ein richtiger, großer Herzinfarkt.“

Beim Spiegeln greift der Arzt etwas von dem auf, was er von der Patientin gehört oder wahrgenommen hat. Der Begriff impliziert, dass tatsächlich nur das zurückgemeldet wird, was von der Patientin in den Diskurs eingebracht wurde.

A.: „Und jetzt machen Sie sich auch Sorgen, dass es bei Ihnen etwas Schlimmes sein könnte …?“ [Spiegeln auf Emotion; Benennen der Emotion]
P.: „Ja, es kommt noch dazu, dass meine Mutter in einem ähnlichen Alter wie ich, so ungefähr Mitte 50, im Urlaub auf Mallorca aus heiterem Himmel eine Herzattacke hatte; da sind die dann ganz schnell mit einem Ambulanzflugzeug wieder nach Hause gekommen, und die Ärzte haben gesagt, dass sie noch mal richtig Glück hatte.“
A.: „Na, da kann ich gut verstehen, dass Sie sich Sorgen machen.“ [Verständnis zeigen für Emotionen]

Diese Technik lässt sich insofern unter der Überschrift „Raum öffnen“ subsumieren, als sie mit dem Ziel eingesetzt wird, der Patientin weitere Äußerungen zu erleichtern. Sie hat nicht den Charakter einer abschließenden, bewertenden Stellungnahme. Dieser Unterschied ist allerdings bei der Verschriftlichung nicht immer deutlich auszumachen. Er ergibt sich vor allem aus der Stimmführung, die bei einer affirmativen Feststellung am Ende des Satzes abfällt und bei einem Spiegeln, das als Einladung verstanden wird, in einem eher fragenden Ton in die Höhe geht.

Das Zusammenfassen hat in der Regel nicht die Funktion einer Öffnung des Raumes, sondern es erlaubt dem Arzt zu überprüfen, ob er das, was die Patientin ihm mitteilen wollte, korrekt verstanden hat. Es entspricht einem Schließen der Schleife, nur diesmal in der anderen Richtung: Die Patientin liefert Informationen und der Arzt schließt die Schleife, indem er von sich aus der Patientin mitteilt, was bei ihm angekommen ist. Darüber hinaus bietet das Zusammenfassen dem Arzt die Möglichkeit zu entscheiden, welche Aspekte er ausführlich und welche er eher summarisch wiedergibt. Der Arzt könnte z. B. eine ausführliche Schilderung der schwierigen Berufssituation von Patienten mit dem Satz: „... und offenkundig sind Sie im Moment im Beruf extrem unter Druck ...“ auf hohem Abstraktionsniveau wiedergeben.


Good Practice - WWSZ-Technik (grippaler Infekt)
Anamnesegespräch

Mitwirkende:

Olaf Reddemann (Arzt); Christian Cujovic (Schauspieler), Marlon Jarek (Sprecher)

Beschreibung:

Anamnesegespräch mit einem Patienten, der über Erkältungssymptome klagt. Es besteht die Verdachtsdiagnose eines grippalen Infektes. Im Gespräch werden Elemente der patientenzentrierten Gesprächsführung mit dem WWSZ-Modell demonstriert.

Quelle

Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf


    2.3. Umgang mit Emotionen - das NURSE-Modell

    Hinter diesem Akronym verbergen sich fünf Techniken, die im Umgang mit emotionalen Äußerungen von Patientinnen und Patienten hilfreich sind:

    N aming:            Emotionen benennen
    U nderstanding: Wenn möglich Verständnis für die Emotionen ausdrücken
    R especting:       Respekt oder Anerkennung für Patientinnen und Patienten artikulieren
    S upporting:        Den Patientinnen und Patienten Unterstützung anbieten
    E xploring:           Weitere Aspekte zur Emotion herausfinden

    Das Benennen der Emotion (Naming) entspricht dem Spiegeln: Die wahrgenommene Stimmung der betroffenen Person wird benannt. Dieser Schritt ist nur dann sinnvoll, wenn diese nicht selbst schon gesagt hat, wie ihr zumute ist. Wenn sie zum Beispiel mit dem Satz „Ich hab unglaublich Angst, dass etwas Schlimmes dabei rauskommt“ bereits ihr Gefühl benennt, ist ein erneutes Benennen durch die ärztliche Fachperson überflüssig.

    Wenn die Emotion benannt ist, muss die Fachperson entscheiden, ob sie sie tatsächlich auch verstehen kann. Wenn ja, ist Understanding eine ausgesprochen wohltuende Intervention, in der sich die Wertschätzung für eine betroffene Person und ihr Erleben prototypisch äußert.

    Gerade wenn Patientinnen und Patienten von schwierigen Lebenssituationen berichten, er-gibt sich immer wieder die Möglichkeit, ihre Bemühungen, mit einer Belastung fertig zu werden, positiv zu konnotieren. Eine typische Sequenz für das Zeigen von Respekt gegenüber Patientinnen und Patienten (Respecting) ist im nächsten Abschnitt wiedergegeben.

    Eine Patientin hat ihren Mann vor einem halben Jahr verloren und ist traurig. Sie weint, als sie von diesem Verlust erzählt. Sie berichtet dann, dass sie vor zwei Wochen in der Volkshochschule einen Sprachkurs begonnen hat, weil sie mit ihrer Freundin in einem halben Jahr nach Andalusien zum Sightseeing fahren möchte. Sie schließt diesen Absatz mit der Bemerkung:

    Patientin: „… mal schauen, ob ich das Spanisch aus dem Kurs dann auch gebrauchen kann.“
    Arzt: „Das ist sicher eine schwierige Zeit für Sie [Benennen der Emotion]. Aber ich finde es toll, dass Sie wieder etwas unternehmen und noch eine neue Sprache lernen.“

    Das Supporting, also das Anbieten von Unterstützung, ist nicht unbedingt eine eigentliche Kommunikationstechnik, es beschreibt aber das an sich naheliegende Bedürfnis, einem
    Menschen in Not zu helfen, und wird dann professionell, wenn diese Hilfe zunächst in Form eines Angebotes erwähnt und nicht bereits in die Tat umgesetzt wird.

    Der letzte Punkt betrifft das Klären nicht eindeutiger oder fehlender Gefühle: Exploring. Dieses Verhalten wird besonders dann empfohlen, wenn der Arzt keine Idee hat, in welcher emotionalen Verfassung sein Gegenüber im Momentist. Er spürt, dass etwas im Raum steht, hat aber zu wenig Informationen beziehungsweise spürt selbst zu wenig intensiv ein eigenes Erleben, um mit einem Naming/Spiegeln fortzufahren.


    Good Practice: Umgang mit schwierigen Emotionen
    mit Elementen des NURSE Modells

    Mitwirkende:

    Dr. med. André Karger (Arzt), Nadine Karbacher (Schauspielpatientin), Daniel Wandelt (Sprecher)

    Beschreibung:

    Sie sehen das Erstgespräch mit einer emotional belasteten Patientin. Im Gespräch zeigt der Arzt eine durchweg Patientenzentrierte Haltung, verbal wie nonverbal. Er benutzt zudem das NURSE-Modell zum Umgang mit schwierigen Emotionen.

    Quelle

    Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

       

      Good Practice - Umgang mit schwierigen Emotionen
      Krisengespräch, Depression

      Mitwirkende:

      Regine Schmelzer (Psychotherapeutin), Tracey Donna Slack (Schauspielerin)

      Beschreibung:

      Patientin wird mit akuten depressiven Beschwerden bei ihrer Hausärztin vorstellig. Auslösend für die Beschwerden ist die Trennung des Ehemanns. Die Hausärztin demonstriert Elemente der patientenzentrierten (WWSZ) und emotionsbezogenen Gesprächsführung (NURSE), exploriert die Beschwerden und berät mit der Patientin das weitere Vorgehen.

      Quelle

      Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

         

        2.4. Vermitteln von Informationen

        Ziel der Informationsvermittlung sind informierte Patientinnen und Patienten, die in der Lage sind, korrekte Einschätzungen abzugeben zu Diagnose, Art, Durchführung, Ziel, Nutzen und Risiken einer Intervention. Zudem müssen Patientinnen und Patienten informiert sein über Art, Risiken und Nutzen von Alternativen sowie über die Option, nichts zu tun.

        Ärztinnen und Ärzte unterschätzen meist die Schwierigkeit, Informationen an eine Person zu übermitteln, die nur über vage medizinische Kenntnisse verfügt. Selbst Grundkenntnisse über die Funktion einer Lunge (bringt Sauerstoff ins Blut) oder des Herzens (pumpt das Blut im Kreislauf herum) sind nicht immer vorhanden.

        Daher ist es sinnvoll, während der Vermittlung immer wieder zu überprüfen, wie Patientinnen und Patienten mit Informationen umgehen, ob sie sie in vorbestehende Konzepte einbetten können oder nicht. Je besser es gelingt, mit den neuen Informationen an vorhandenes Wissen anzuknüpfen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Neues verstanden und behalten wird. Auch bei Patientinnen und Patienten mit einem gewissen Vorwissen (zum Beispiel bei länger bestehendem Diabetes) lohnt es sich, zunächst herauszufinden, was sie bereits wissen, um die neue Information passgenau in das vertraute Weltbild einzufügen.

        Informationen erzeugen bei Empfängerinnen und Empfängern häufig Fragen, zum Beispiel zur Bedeutung für die eigene Situation, zu den Konsequenzen im Langzeitverlauf oder zu den Risiken und zum Nutzen einer Intervention. Diese Fragen steuern im Idealfall, wie viele Informationen in welcher Detailgenauigkeit Patientinnen und Patienten benötigen. Um herauszufinden, welche Fragen Patientinnen und Patienten konkret haben, müssen sie die Möglichkeit erhalten, Informationen erst einmal zu verdauen. Daher kommt die Empfehlung, nach zwei bis drei Informationen Pausen einzustreuen und abzuwarten, ob sich Fragen ergeben oder nicht.

        Es empfiehlt sich, den Prozess der Informationsvermittlung zu strukturieren: Genau so, wie ein Buch seinen Inhalt in bestimmten Abschnitten präsentiert (Titel, Inhaltsverzeichnis, Kapitelüberschriften, Text, Anhang), sollte Information auch bei mündlicher Übermittlung gegliedert werden.

        Beispiel: „Ich möchte mit Ihnen über den Eingriff morgen sprechen, die Spiegelung
        der Brusthöhle.“ Pause. „Dabei würde ich gerne folgende Punkte besprechen:
        1. Warum wir diesen Eingriff machen wollen.
        2. Wie genau er ablaufen wird.
        3. Was die Risiken des Eingriffs sind.
        4. Wie es danach weitergehen wird.“
        Pause.
        Wenn der Patient bzw. die Patientin mit diesem Vorgehen einverstanden ist, geht es
        zurück zur ersten Kapitelüberschrift:
        „Also, zum ersten Punkt: Warum wir diesen Eingriff machen wollen.“
        Dann folgt die detaillierte Information.

        Selbst mit einer klaren Gliederung ist die Menge an neuer Information, die ein Mensch überhaupt aufnehmen kann, endlich. Die „Cognitive Load Theory“ geht davon aus, dass das Arbeitsgedächtnis mit sieben (+/–2) Informationen umgehen kann. Eine weitere Einschränkung ergibt sich dadurch, dass ein Mensch bestenfalls zwei bis vier Elemente gleichzeitig bei einer Entscheidung bedenken kann.

        Die „Cognitive Load Theory“ geht weiter davon aus, dass die einzelnen Prozessoren des Arbeitsspeichers jeder für sich überlastet werden können. Dies führt zu der Empfehlung, Informationen nicht nur auf einem Kanal zu vermitteln, sondern verschiedene Informationsmedien einzusetzen. Entsprechende Versuche waren zwar nicht immer von Erfolg gekrönt, scheinen aber mit dem Einsatz interaktiver multimedialer Informationsmodule das Behalten und Verstehen von Information zu verbessern.

        Wenn es um die Verarbeitung von Informationen geht, die bereits im Langzeitspeicher abgelegt sind, unterliegt dagegen das Arbeitsgedächtnis praktisch keiner Mengenbeschränkung. Für die medizinische Praxis bedeutet dies, dass Patienten, die zum ersten Mal über eine Erkrankung oder einen Eingriff informiert werden, weitaus weniger aufnehmen können, als wir ihnen in der Regel zumuten.

        Als letzter Punkt soll erwähnt werden, dass Ärztinnen und Ärzte sehr selten überprüfen, was Patientinnen und Patienten verstanden haben. Die am besten untersuchte, selten angewandte, aber sehr erfolgreiche Technik ist das ‚Teach-Back‘: Die Person, welche die Information empfangen hat, vermittelt ihr Verständnis zurück an die informierende Person.

        Eine Möglichkeit, das korrekte Verständnis von Informationen zu überprüfen, klingt folgendermaßen:
        A: „Ich finde es ganz schön schwierig, diesen Eingriff gut zu erklären. Mich würde vor allem interessieren, was Sie heute Abend Ihrer Partnerin / Ihrem Partner von unserem Gespräch erzählen werden. Dann schau ich mal, ob es etwas gibt, das ich besser erklären muss.“


        Good Practice - OP-Aufklärungsgespräch
        Kommunikationstechniken zum Vermitteln von Informationen

        Mitwirkende:

        Dr. med. Frauke Sareika (Ärztin), Margarita Horbach (Simulationspatientin), Miriam Gronau (Sprecherin)

        Beschreibung:

        Sie sehen ein OP-Aufklärungsgespräch mit einer Patientin, welche in 2 Tagen eine OP zum Aortenklappenersatz (auf Wunsch der Patientin biologische Aortenklappe) erhalten soll. Sie kommt zum Vorgespräch und abschließenden Untersuchungen in das Klinikum. Zur Strukturierung des Gesprächs wendet die Ärztin die Kommunikationsmodelle „Buchmetapher“, „ask-tell-ask“ und „chunking & checking“ an. Zum Eingehen auf die Sorgen und Emotionen der Patientin greift die Ärztin auf das NURSE Modell zum Umgang mit schwierigen Emotionen zurück. Bei der Rauchstoppempfehlung wird zudem die ABC-Methode angewandt. Die Ärztin zeigt durchweg eine patientenzentrierte Haltung, verbal wie nonverbal. Dieses Video zeigt einen beispielhaften Gesprächsverlauf. Es zeigt die Anwendung möglicher Fertigkeiten für eine patientenorientierte Gesprächsführung und kann Sie dabei unterstützen, Ihre eigene Gesprächsführung zu reflektieren und Ihre eigene Sprache zu finden.

        Quelle

        Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf


        Literatur
        • Armstrong K. et al.: Using survival curve comparisons to inform patient decision making. Can a practice exercise improve understanding? J Gen Intern Med. 2001; 16: 482–5.
        • Cohn E., Larson E.: Improving participant comprehension in the informed consent process. J Nurs Scholarsh. 2007; 39: 273–80.
        • Edwards A. G. et al.: Personalized risk communication for informed decision making about taking screening tests. Cochrane library 2008.
        • Langewitz W. et al.: Improving patient recall of information: Harnessing the power of structure Patient Educ Couns. 2015 Jun; 98 (6): 716–21.
        • Siegrist V, Mata R, Langewitz W, Gerger H, Furger S, Hertwig R, Bingisser R. Does information structuring improve recall of discharge information? A cluster randomized clinical trial. PLoS One. 2021 Oct 18;16(10):e0257656. doi: 10.1371/journal.pone.0257656. PMID: 34662341; PMCID: PMC8523048.
        • Talevski J, Wong Shee A, Rasmussen B, Kemp G, Beauchamp A. Teach-back: A systematic review of implementation and impacts. PLoS One. 2020 Apr 14;15(4):e0231350. doi: 10.1371/journal.pone.0231350. PMID: 32287296; PMCID: PMC7156054.
        • Turner P., Williams C.: Informed consent: patients listen and read, but what information do they retain? N Z Med J. 2002; 115: 218–25.
        • Watson P. W., McKinstry B.: A systematic review of interventions to improve recall of medical advice in healthcare consultations. J R Soc Med. 2009; 102: 235–43.
        • van der Meulen N. et al.: Interventions to improve recall of medical information in cancer patients: a systematic review of the literature. Psycho-Oncology. 2008; 17: 857–68.

         

        2.5. Umgang mit divergierenden Konzepten

        Es ist eher die Ausnahme, dass Patient/Patientin und Arzt/Ärztin die gleichen Vorstellungen über die Erkrankung und deren Behandlung haben. Besteht eine genügend große gemeinsame Schnittmenge der Vorstellungen, so stören die übrigen Unterschiede wenig. Divergieren jedoch die Konzepte von Arzt / Ärztin und Patient / Patientin stark, so kann dies eine sinnvolle Diagnostik und Therapie unmöglich machen.

        Beispiel: Der Patient ist überzeugt, dass er zu viele Medikamente einnimmt. Die mögliche Medikamenteninteraktion sieht er als gefährlich an, weswegen er die Medikamente auf die Hälfte reduziert. Er nimmt nur jene Medikamente weiter ein, die nicht allzu groß sind und die gegen seine Schlaflosigkeit helfen. Er hätte sein Vorgehen nie mit seinem Arzt besprochen, wenn der ihn nicht bei einem Hausbesuch nach der Schachtel für die Medikamenteneinnahme gefragt hätte.

        Die folgenden Gesprächstechniken und Schritte eignen sich zur Exploration des Patientenkonzepts und zum Verhandeln:

        Daran denken und ansprechen: Oft sind sich Ärztinnen und Ärzte nicht bewusst, dass Patientinnen und Patienten von ihnen stark abweichende Krankheitskonzepte haben. Patientinnen und Patienten berichten selten spontan von ihren Konzepten, sondern zeigen Verhaltensweisen, die für Ärztinnen und Ärzte irritierend sind.

        Beispiel: „Viele Patientinnen und Patienten haben Mühe, die vielen Medikamente regelmäßig einzunehmen. Wie ist das bei Ihnen?“

        Konzept der Patientin beziehungsweise des Patienten explorieren: Zur Exploration des Konzepts der Patientin bzw. des Patienten ist das „Common Sense model of illness“ von Leventhal gut geeignet:

        • Was ist das? (Identity)
        • Was ist die Ursache? (Cause)
        • Was sind die Folgen? (Consequences)
        • Wie ist der zeitliche Verlauf? (Time Line)
        • Wie kann man das behandeln? (Control)

        Die Patientin beziehungsweise der Patient soll durch patientenzentrierte Gesprächstechniken zum Erzählen gebracht werden. Patientinnen und Patienten wissen, dass ihr Konzept oft nicht mit dem der Ärztin oder des Arztes übereinstimmt, und das Offenlegen kann als Vertrauensbeweis für die Ärztin oder den Arzt angesehen werden. Oft haben die Patientinnen und Patienten kein vollständiges Konzept, sie haben nur über bestimmte Anteile des „Common Sense model of illness“ nachgedacht.

        Funktionelle Anteile des Konzeptes anerkennen: Nach der Zusammenfassung des Patientenkonzeptes versucht die Ärztin oder der Arzt, die funktionellen Anteile des Patientenkonzeptes anzuerkennen.

        Gibt es wenige oder keine brauchbaren Anteile, kann der Arzt / die Ärztin erwidern:
        „Ich finde es gut, dass Sie so offen mit mir über Ihre Mühe sprechen, die Medikamente einzunehmen, und Ihre Gründe darlegen …“

        Dysfunktionale Anteile des Konzeptes ansprechen und eigenes medizinisches Konzept offenlegen: Nachdem die brauchbaren Anteile des Patientenkonzeptes besprochen wurden, sollten direkt und nicht moralisierend die dysfunktionalen Anteile des Patientenkonzeptes angesprochen werden.

        Beispiel: „Ich kann verstehen, dass Sie keine unnötigen Medikamente einnehmen wollen. Wenn Sie aber die Hälfte der verordneten Dosis einnehmen, haben Sie nicht die Hälfte der erwünschten Wirkung, sondern gar keine Wirkung.“

        Bevor der Arzt / die Ärztin das eigene medizinische Konzept erklärt, ist es wichtig, zunächst das Interesse an und die Motivation des Patienten / der Patientin für eine alternative Sichtweise zu erfragen.

        Beispiel: „Wollen Sie wissen, wie ich das sehe?“

        Die meisten Patientinnen und Patienten stimmen dem zu. Bei den seltenen Ausnahmen ist der Versuch der Wissensvermittlung zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll und anderes muss zuerst geklärt werden.

        Verhandeln (braucht Zeit): Wenn der Arzt / die Ärztin das Konzept des Patienten / der Patientin kennt, ist es oft einfacher, in einen Verhandlungsprozess einzutreten.

        Beispiel: „Ich kann verstehen, dass Sie nicht unnötig Medikamente einnehmen wollen. Wie wäre es mit der Einsparung dieser Medikamente, weil Sie durch eine Umstellung Ihrer Lebensweise schon viel erreichen können?“

        Gemeinsames Konzept erarbeiten und mit Patienten / Patientin überprüfen: Nach unterschiedlicher Verhandlungsdauer sollte der Arzt / die Ärztin das gemeinsame Konzept zusammenfassen und auf die Reaktion des Patienten / der Patientin warten.

        Beispiel: „Also ich fasse zusammen: Sie nehmen ab sofort das eine Medikament in der Dosierung wie besprochen. Dafür lassen Sie die beiden anderen Medikamente weg und stellen Ihre Lebensweise um.“
        Pause.
        P.: „Ok.“
        A.: „Die Umstellung ist oft nicht einfach. Sind Sie mit dem Versuch einverstanden?“
        P.: „Ich möchte es versuchen.“


        Good Practice - Umgang mit divergierenden Konzepten

        Mitwirkende:

        Dr. med. (Univ. Rijeka) Jana Urban-Ukic (Ärztin), Daniel Wandelt (Schauspieler)

        Beschreibung:

        Patient mit rezidivierendem Schwindel und häufigen Arztbesuchen, der im Gespräch mit seiner Hausärztin über die aktuellen Untersuchungsbefunde (Schädel-MRT) informiert wird. Im Gespräch wird der Umgang mit unterschiedlichen Krankheitskonzepten demonstriert. Während die Hausärztin eine psychische Genese der Beschwerden für wahrscheinlich erachtet, ist der Patient der Überzeugung, dass körperliche Ursachen der Beschwerden noch nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

        Quelle

        Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

         
         
           

          Good Practice - Somatoforme Störung Erstgespräch

          Mitwirkende:

          Dr. med. Stefanie Dechering (Ärztin), Eva Senner (Schauspielerin)

          Beschreibung:

          Das Video zeigt ein Erstgespräch mit einer Patientin mit somatoformer Störung.

          Quelle

          Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf


            Literatur
            • Leventhal H., Brissette I., Leventhal E. A.: The common-sense model of self-regulation of health and illness. In: Cameron L. D., Leventhal H. (Hrsg.): The Self-Regulation of Health and Illness Behavior. Routledge, London 2003, S. 42–65.
            • Miller W. R., Rollnick S.: Motivational interviewing: Preparing people to change addictive behavior. Guilford Press, New York 1991.

             

            2.6. Gemeinsame Entscheidungsfindung

            Die Arzt-Patient-Beziehung hat in den letzten Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel weg von einem benevolenten paternalistischen hin zu einem patientenzentrierten Ansatz durchlaufen. Patientinnen und Patienten wechseln aus passiven in aktive Rollen und möchten als mündige und informierte Personen in die medizinischen Entscheidungs- und Behandlungsprozesse eingebunden sein (Mortsiefer et al. 2015). Patientinnen und Patienten sind Expertinnen und Experten für ihre Lebenssituationen, Werte und Wünsche; Ärztinnen und Ärzte sind Expertinnen und Experten für die medizinische Evidenz und haben Erfahrung – sie begegnen sich hier auf Augenhöhe. Das aktuelle Behandlungsziel und die zu dessen Erreichung dienlichen Behandlungsentscheidungen werden auf der Grundlage der medizinisch möglichen Optionen und geteilter Informationen von selbstbestimmten Patientinnen und Patienten festgelegt (Informed Consent / Informed Refusal), nachdem diese durch einen anspruchsvollen, emotionale und kognitive Elemente verbindenden (Elwyn 2021) Interaktionsprozess gemeinsamer Entscheidungsfindung mit der Ärztin oder dem Arzt (Shared Decision Making, auch mit „partizipative Entscheidungsfindung“ übersetzt) hierzu spezifisch befähigt worden sind. Am Ende dieses Prozesses steht eine gemeinsam verantwortete Übereinkunft der gleichberechtigten Partnerinnen und Partner über die medizinische Behandlung (Bieber et al. 2016) – oder auch der Verzicht auf Behandlung. Das Patientenrechtegesetz (§ 630 BGB) regelt, dass Patientinnen und Patienten ihre Entscheidungen wohlüberlegt treffen können.

            In welchen medizinischen Situationen eine gemeinsame Entscheidungsfindung angemessen umsetzbar ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Einwilligungsfähigkeit der Patientin oder des Patienten, Dringlichkeit der Entscheidung und Bedeutung der medizinischen Entscheidung für den Lebensalltag der Patientin oder des Patienten.

            • Bei eindeutig bewusstseinsgestörten oder desorientierten Patientinnen und Patienten tritt die fürsorgliche Entscheidung der Ärztin oder des Arztes zugunsten des vermuteten Patientenwohls an die Stelle der Entscheidung der Patientin oder des Patienten.
              Für solche Situationen kann der Patientenwille Berücksichtigung finden, indem die Patientin oder der Patient schon viel früher befähigt wird, sich im Voraus, also im Rahmen eines vorweggenommenen Entscheidungsfindungsprozesses (gesundheitliche Versorgungsplanung; Advance Care Planning) damit auseinanderzusetzen, Präferenzen für künftige Behandlungsentscheidungen zu benennen und ggf. wirksam in einer Patientenverfügung zu dokumentieren (Höfling et al. 2019).
            • Bei Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit, zum Beispiel aufgrund einer mittelgradigen Demenz oder einer intellektuellen Beeinträchtigung, können Anpassung von Wortwahl und Gesprächsführung eine Beteiligung der Patientin oder des Patienten an der Entscheidung ermöglichen (assistierte Autonomie).
            • Akut lebensbedrohlich erkrankte Patientinnen und Patienten sind kognitiv und emotional häufig nur eingeschränkt aufnahme- und entscheidungsfähig. Die Ärztin oder der Arzt kann hier wegen der Dringlichkeit der Entscheidung einige Handlungsschritte der gemeinsamen Entscheidungsfindung überspringen. Eine möglichst weitgehende Information und Einbeziehung der Patientin oder des Patienten sollten im Rahmen des medizinisch Vertretbaren trotzdem versucht werden.
            • Die Entscheidung über die Behandlung trifft immer die Patientin / der Patient. Im medizinischen Alltag kann und wird der Interaktionsprozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung mit einer empathischen und patientenzentrierten Haltung der Ärztin oder des Arztes (Lundeby et al. 2015) in einfachen Entscheidungssituationen oft sehr verkürzt ablaufen, um Zeit angemessen zu nutzen. Je komplexer die Entscheidungssituation ist und je stärker mögliche Therapiemaßnahmen in den Lebensablauf und -alltag der Patientin oder des Patienten eingreifen (zum Beispiel Einschränkung der Fahrtüchtigkeit durch Arzneimittel; Chemotherapie in der Onkologie, insbesondere bei starken Nebenwirkungen und begrenztem Überlebensvorteil), desto mehr ergibt sich die Notwendigkeit, in Ruhe – gegebenenfalls in mehreren Gesprächen – die Werte, Ziele und Präferenzen der Patientin oder des Patienten für die gemeinsame Abwägung geeigneter Therapieverfahren zu erarbeiten.

            Die Mehrheit der Patientinnen und Patienten in Deutschland wünscht sich eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Die Qualität der Behandlungsergebnisse und die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten und der Behandelnden sind höher als bei Anwendung des paternalistischen Entscheidungsmodells. Trotzdem werden im medizinischen Alltag viele Entscheidungen im ambulanten und stationären Bereich (noch) anders getroffen, unter anderem, weil Ärztinnen und Ärzte wie Patientinnen und Patienten dafür nicht ausreichend befähigt sind, etwa in den Bereichen Kommunikation, evidenzbasierte Medizin und Gesundheitskompetenz. Für beide, Behandelte wie Behandelnde, gibt es spezifische Informations- und Trainingsprogramme (siehe Kapitel 4.) sowie evidenzbasierte Entscheidungshilfen, die zur Vorbereitung der Entscheidungsfindung (zum Beispiel auf www.gesundheitsinformation.de) oder während des Gesprächs (zum Beispiel www.arriba-hausarzt.de) eingesetzt werden (Légaré et al. 2018; NICE 2021).

            Die Umsetzung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung kann nach Härter (2004), Makoul et al. (2006), Berger-Höger et al. (2019) und Elwyn (2020; 2021) folgende Handlungsschrit-te der Ärztin oder des Arztes umfassen, wobei die Reihenfolge als Orientierung und nicht als fest definierter Ablauf angesehen werden soll. Die Tiefe des gemeinsamen Reflexionsprozesses wird meist im Verhältnis zur Komplexität und Herausforderung der Entscheidungs-situation stehen.

            Gespräch über Patient / Patientin und Arzt / Ärztin als Partner / Partnerin:

            • klar und verständlich mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht
            • das Gesundheitsproblem definieren
            • Gleichberechtigung der Beteiligten formulieren
            • ein Beziehungs- und Unterstützungsangebot formulieren
            • die (übergeordneten) Behandlungsziele des Patienten / der Patientin erarbeiten

            Beispiel: „Als Erstes ist es für mich wichtig zu verstehen, welche Behandlungsziele für Sie im Vordergrund stehen.“

            Gespräch über die Möglichkeiten:

            • über Wahlmöglichkeiten informieren
            • über Vor- und Nachteile der Optionen verständlich informieren
              (Nutzen/Schaden, Chancen/Risiken, im weitesten Sinn auch: Kosten)
            • die Optionen gemeinsam vergleichen und in Bezug zu den Zielen setzen

            Beispiel: „Es gibt mehrere Wege, um mit dem Problem umzugehen; aus der Medizin
            heraus gibt es nicht die einzig richtige Behandlung. Jede davon hat unterschiedliche
            Vorteile und Risiken. Letztlich geht es darum, wie Sie die medizinischen Erkenntnisse
            für sich bewerten.“

            Gespräch über die Entscheidung:

            • Verständnis, Gedanken, Gefühle und Erwartungen des Patienten / der Patientin erfragen (Krankheitskonzept)
            • Werte und Präferenzen des Patienten / der Patientin ermitteln

            Beispiel: „Was sind Ihre Überlegungen zu den verschiedenen Möglichkeiten?
            Was geht Ihnen durch den Kopf?“

            • Ressourcen, Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit des Patienten / der Patientin würdigen
            • gegebenenfalls auf Wunsch des Patienten / der Patientin: ärztliche Empfehlung, etwa vor dem Hintergrund der Erfahrung, wie in anderen ähnlich gelagerten Fällen meist entschieden wird, oder der jahrelangen Kenntnis der behandelten Person und ihres psychosozialen Hintergrunds (jedoch stets verbunden mit der Klarstellung, dass dies nur ein Beitrag zur Entscheidungsfindung sein will und kann)
            • gemeinsame Reflexion der von der behandelten Person signalisierten Präferenz in Bezug auf ihre Ziele
            • die Entscheidung des Patienten / der Patientin ankündigen und herbeiführen
            • weiteres Vorgehen und Zeitpunkt der erneuten Bewertung der Entscheidung vereinbaren

            Beispiel: „Sie haben sich nach unseren gemeinsamen Abwägungen jetzt für diese Möglichkeit entschieden. Als nächsten Schritt müssen wir … Ich schlage vor, dass wir gemeinsam in einem Gespräch in 4 Wochen Ihre Entscheidung noch einmal anschauen und besprechen.“

            Die Position der ärztlichen Fachperson in dieser gleichberechtigten Beziehung ist nicht etwa ‚wertneutral‘, wie es häufig falsch verstanden wird, sondern sie kann sich bei allem Respekt ggf. auch kritisch äußern bis hin zur unmissverständlichen Mitteilung von Sorge, Unverständnis oder Ratlosigkeit, die eine aus ärztlicher Sicht unverantwortlich erscheinende Entscheidung des Patienten / der Patientin hervorrufen kann – im Sinne von Balints ‚Droge Arzt‘, allerdings im Bewusstsein der möglichen manipulativen Nebenwirkungen dieser Droge.

            Die gemeinsame Entscheidungsfindung gibt der behandelten Person auch die Möglichkeit zu wählen, in welchem Maße sie sich in den Entscheidungsfindungsprozess einbringen will. Dabei ist zu beachten, dass die von Ärztinnen und Ärzten oft zitierte Bitte des Patienten / der Patientin, die Entscheidung doch besser ärztlicherseits zu treffen, Ausdruck vermuteter sozialer Erwünschtheit und mangelnden Vorstellungsvermögens eines gemeinsamen Prozesses auf Augenhöhe sein kann. Viele Patientinnen und Patienten profitieren dann von einer Ermutigung durch die Ärztin oder den Arzt.

            Wenn von der betroffenen Person gewünscht, kann die Einbeziehung ihrer Familie oder von anderen Bezugspersonen in den Interaktionsprozess hilfreich sein, um die Person zu einer wohlüberlegten Entscheidung zu befähigen – aber nicht, um an ihrer Stelle zu entscheiden.

            Beispiel: „Möchten Sie Familienmitglieder oder Freunde zu unserem nächsten Gespräch
            mitbringen? (Wenn ja:) Sie könnten Ihnen vielleicht helfen, sich aktiv ins Gespräch einzubringen, und sich die Einzelheiten merken oder notieren, die wir gemeinsam besprochen haben.“

            Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist also nicht, Patientinnen und Patienten durch gezielte, ggf. manipulative Kommunikation zu der aus ärztlicher Sicht ‚richtigen‘ Entscheidung zu bringen (‚ich kenne den Patienten und weiß, was das Richtige für ihn ist‘; ‚so steht es in der Leitlinie‘). Sie sollen Patientinnen und Patienten im Interaktionsprozess der gemeinsamen Findung der Entscheidung befähigen, ihre eigenen, für sie richtigen Entscheidungen wohlüberlegt zu treffen. Patientinnen und Patienten haben keinen Anspruch auf Maßnahmen, die medizinisch nicht indiziert bzw. nicht vertretbar sind. In Fällen, wo diesbezüglich Differenzen auftreten (siehe Kapitel 2.5.), sollte mit den Patientinnen und Patienten erwogen werden, ob die Einholung einer Zweitmeinung weiterführend ist. Doch behalten sie stets das letzte Wort darüber, ob eine medizinische Maßnahme durchgeführt werden darf oder nicht, und welche der medizinisch vertretbaren Optionen zur Anwendung kommen soll.

            Um patientenzentriert kommunizieren und gemeinsame Entscheidungsfindung umsetzen zu können, brauchen Ärztinnen und Ärzte

            • eine Reflexion der eigenen empathischen, patientenzentrierten Haltung, die ärztliche Fürsorge darin versteht, Patientinnen und Patienten zu den für sie richtigen Entscheidungen zu befähigen, und die ihnen dafür ein Beziehungsangebot macht,
            • ein Bewusstsein des Machtgefälles in der Arzt-Patient-Beziehung,
            • ein Bewusstsein für die eigenen ökonomischen Interessenskonflikte und die der Institution, in der sie arbeiten,
            • kommunikative Kompetenzen zum Erfragen der Krankheitskonzepte, Werte und Präferenzen der Patientinnen und Patienten (siehe Kapitel 2.) und zum Umgang mit Emotionen (NURSE-Modell, siehe Kapitel 2.3.),
            • Kompetenzen in der ergebnisoffenen Kommunikation von Nutzen und Risiko
              (zum Beispiel das Vermitteln von Eintrittswahrscheinlichkeiten) und
            • gute Kenntnisse der auf den jeweiligen Fall bezogenen bestverfügbaren Evidenz und der vorhandenen Entscheidungshilfen für Patientinnen und Patienten.

             

            Good Practice - Entscheidungsfindung
            Bandscheibenvorfall und Diabetes mellitus Typ 2

               
            Mitwirkende:

            Stephanie Schipper-Kochems (Ärztin), Kadir Zeyrek (Schauspieler), Markus Kroner (Sprecher)

            Beschreibung:

            Patient mit ausgeprägten Rückenschmerzen und bekanntem Diabetes mellitus. Im Gespräch mit der Hausärztin werden die verschiedenen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie besprochen und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen herbeigeführt. Im Gespräch werden Elemente der partizipativen Entscheidungsfindung demonstriert.

            Quelle

            Creative Commons, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf


              Literatur
              • Berger-Höger B., Steckelberg A. im Auftrag des Netzwerks evidenzbasierte Medizin e. V. Gemeinsam informiert entscheiden – Wie
              • bezieht man Patientinnen und Patienten in die medizinische Entscheidungsfindung ein? KVH-Journal 2019; (7-8): 18–21.
              • Bieber C., Gschwendtner K., Müller N., Eich W.: Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) – Patient und Arzt als Team. Psychother Psych
              • Med 2016; 66: 195–207.
              • Elwyn G, Vermunt NPCA. Goal-based shared decision-making: developing an integrated model. J Patient Experience 2020; 7(5): 688–96.
              • Elwyn G. Shared decision making: What is the work? Patient Educ Couns 2021; 104: 1591–5.
              • Härter M.: Partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) – ein von Patienten, Ärzten und der Gesundheitspolitik geforderter Ansatz setzt sich durch. Z ärztl Fortbild Qual Gesundhwes 2004; 98: 89–92.
              • Höfling W, Otten T, in der Schmitten J, Hrg.: Advance Care Planning / Behandlung im Voraus planen als Instrument einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung: juristische, theologische und medizinethische Perspektiven. Baden-Baden: Nomos; 2019.
              • Légaré F, Adekpedjou R, Stacey D, Turcotte S, Kryworuchko J, Graham ID, Lyddiatt A, Politi MC, Thomson R, Elwyn G, Donner‐Banzhoff N.: Interventions for increasing the use of shared decision making by healthcare professionals. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 7. Art. No.: CD006732.
              • Lundeby T, Gulbrandsen P, Finset A.: The Expanded Four Habits Model – A teachable consultation model for encounters with patients in emotional distress. Patient Educ Couns 2015; 98(5): 598-603.
              • Makoul G, Clayman ML.: An integrative model of shared decision making in medical encounters. Patient Edu Couns 2006; 60(3): 301–12.
              • Mortsiefer A, Gummersbach E, Ilse K, Leve V, Pentzek M, Santos S, Wilm S. Kommunikation: Zentraler Bestandteil jeder ärztlichen Tätigkeit in der Patientenversorgung. In: Ärztekammer Nordrhein (Hrsg.) Kommunikation. Festschrift anlässlich des 117. Deutschen Ärztetages 2014. Düsseldorf 2015. S. 25–65.
              • National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Shared decision making guideline. NICE 2021.

              Kapitelübersicht

              2.1. Festlegen von Zeitgrenzen und Themen

              2.2. WWSZ-Techniken (mit Video)

              2.3. Umgang mit Emotionen - das NURSE-Modell (mit Video)

              2.4. Vermitteln von Informationen (mit Video)

              2.5. Umgang mit divergierenden Konzepten (mit Video)

              2.6. Gemeinsame Entscheidungsfindung (mit Video)

              Inhaltsübersicht des Leitfadens