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Gesundheits- und Sozialpolitik

NRW verzeichnet ein wachsendes Drogenproblem

16.06.2025 Seite 22
RAE Ausgabe 7/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2025

Seite 22

Der Heroinkonsum in Deutschland ist zwar rückläufig, doch mit insgesamt 712 Todesfällen im vergangenen Jahr, die auf den Konsum von Heroin zurückgingen, gilt dieser Stoff noch immer als tödlichste illegale Droge in Deutschland. © fusssergei / stock.adobe.com

Die Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dazu verschiebt sich der Gebrauch von Substanzen. Während der Konsum von Heroin rückläufig ist, gewinnen Crack und synthetische Opioide an Bedeutung. Das Land setzt auf einen Ausbau von Hilfsangeboten.

von Marc Strohm
 
Es ist eine alarmierende Entwicklung: Seit Jahren steigt die Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen kontinuierlich an. Waren nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) NRW im Jahr 2020 noch 401 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben, lag die Zahl im Jahr 2024 bereits bei 769 – ein Anstieg um fast 50 Prozent. Bundesweit verzeichnete die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) im Jahr 2023 mit exakt 2.227 Drogentoten einen historischen Höchststand, die meisten von ihnen Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 41 Jahren – und ist ebenfalls angestiegen. In 1.479 Fällen sei ein Mischkonsum verschiedener illegaler Substanzen festgestellt worden, so die DBDD. 712 Todesfälle gingen auf den Konsum von Heroin zurück. Der Stoff zähle damit weiterhin zu den gefährlichsten illegalen Drogen in Deutschland, auch wenn die Zahlen rückläufig seien. Ein möglicher Grund dafür ist den Suchtexperten zufolge der starke Rückgang der Opiumproduktion im Hauptexportland Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban. Gleichzeitig warnt der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) davor, dass diese Angebotslücke zunehmend durch synthetische Opioide gefüllt werden könnte – etwa durch das Schmerzmittel Fentanyl oder sogenannte Nitazene. Nach Angaben der Europäischen Drogenagentur (EUDA) führten Substanzen aus der Gruppe der Nitazene im Jahr 2023 europaweit zu über 150 Todesfällen. Die europäischen Staaten seien auf diese neue Bedrohung nicht ausreichend vorbereitet, kritisierte der INCB. Aus Sicht von Expertinnen und Experten braucht es unter anderem einheitliche Labortestverfahren, ein stärkeres Engagement von Nachrichtendiensten sowie einen besseren Informationsaustausch, um die Entwicklung einzudämmen. Auch in einigen deutschen Bundesländern konnten bereits Spuren synthetischer Opioide in Heroin-Proben nachgewiesen werden – in Nordrhein-Westfalen jedoch bislang nicht, wie das Landeskriminalamt NRW auf Anfrage des Rheinischen Ärzteblattes erklärte.

Lachgas im Trend
Ein zunehmender Trend, den das LKA beobachtet, ist der Konsum von Lachgas als Partydroge. Im Jahr 2023 wurden dazu 363 Fälle registriert – ein deutlicher Anstieg gegenüber 216 Fällen im Jahr zuvor. Die Polizei NRW kooperiert mit der Ginko Stiftung für Prävention, die Informationsmaterialien für pädagogische Fachkräfte in Schulen sowie für die Jugend- und Sozialarbeit entwickelt. Diese klären unter anderem über die gesundheitlichen Risiken des Lachgaskonsums auf. Auf Bundesebene kündigte Gesundheitsministerin Nina Warken jüngst ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige an. In Nordrhein-Westfalen haben einige Städte entsprechende Regelungen bereits in Eigenregie umgesetzt.

Crack auf dem Vormarsch
Eine besonders besorgniserregende Entwicklung zeigt sich beim Konsum von Kokain und dem daraus gewonnenen Crack: Während das Landeskriminalamt NRW im Jahr 2015 noch 2.298 Delikte im Zusammenhang mit diesen Substanzen registrierte, ist deren Zahl seither stetig gestiegen – auf 6.433 Fälle im Jahr 2024. Fachleute sehen die Ursachen unter anderem in der verkehrstechnisch günstigen Lage Nordrhein-Westfalens. Das Bundesland ist durch seine gut ausgebaute Infrastruktur und die Nähe zu den internationalen Containerhäfen in Antwerpen und Rotterdam Teil eines transnationalen Logistik- und Schmuggelnetzwerks für Betäubungsmittel. In Großstädten wie Essen, Köln und Düsseldorf gilt Crack inzwischen als die am häufigsten konsumierte illegale Droge, wie aus der Studie „Offene Drogenszenen in NRW 2024“ hervorgeht, die gemeinsam von der Technischen Hochschule Nürnberg und der Hochschule Düsseldorf durchgeführt wurde. Diese Entwicklung stelle die gängigen Hilfssysteme vor große Herausforderungen, denn die mit regelmäßigem Crack-Konsum einhergehende Verelendung verlaufe rapide, erklärt das NRW-Gesundheitsministerium (MAGS) auf Anfrage des RÄ. Aufgrund des intensiven aber sehr kurzen Rausches stünden die Konsumenten unter immensem Suchtdruck, der sie zuweilen gereizt und aggressiv mache. Bestehende Angebote und Konzepte müssten daher an diese neue Situation angepasst werden.
 
Hilfsangebote anpassen
Grundsätzlich verfügt Nordrhein-Westfalen dem MAGS zufolge über ein gut ausgebautes und flächendeckendes Netz in der Suchtprävention und -beratung. Ziel sei es, drogenabhängige Menschen möglichst niedrigschwellig an passgenaue Hilfsangebote heranzuführen. Einen zentralen Baustein bildeten dabei die zwölf Konsumräume im Land. Dort könnten Suchtkranke unter medizinischer Aufsicht und unter hygienischen Bedingungen Drogen injizieren und rauchen. Zudem bestehe vor Ort die Möglichkeit, psychosoziale Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen. Künftig sei geplant, dass Suchtkranke mitgebrachte Drogen vor Ort unter bestimmten Voraussetzungen auch einem Drug-Check unterziehen können. Dabei werden die Drogen chemisch analysiert, um Konsumenten vor Überdosierungen und möglichen Verunreinigungen zu schützen. Eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2023 ermöglicht es den Ländern, Drug-Checks im Rahmen von Modellprojekten in Verbindung mit entsprechenden Beratungen durchzuführen. In Berlin, wo ein Drug-Checking-Modellprojekt bereits vor zwei Jahren angelaufen ist, zeigte sich nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, dass die analysegestützte Beratung Auswirkungen auf das Konsumverhalten hat. So belegten die Analysen beispielsweise, dass knapp 53,7 Prozent der überprüften Proben unerwartete Beimischungen enthielten, darunter auch potenziell gefährliche Substanzen. Personen, deren Proben unerwartete Stoffe aufwiesen, verzichteten demnach fünf Mal häufiger auf den Konsum als andere. 
Auch in Nordrhein-Westfalen setzt man Hoffnungen in das Drug-Checking. Das MAGS erwartet eine weitere Schadens­minimierung bei schwerstabhängigen Konsumierenden sowie eine Verringerung akuter Konsumnotfälle. Aktuell befindet sich das Projekt noch im Verordnungs­gebungsverfahren.
 

Hilfe durch Suchtmediziner
 

Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatz-Weiterbildung Suchtmedizin versorgen Patientinnen und Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen und können dazu beispielsweise Substitutionstherapien bei Heroin-Abhängigen durchführen. Mehr Informationen zur Zusatz-Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ unter:     
www.aekno.de/aerzte/weiterbildung/weiterbildungsordnung-2020
  
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein unterstützt Ärztinnen und Ärzte, die in der Substitutionsbehandlung tätig sind. Der Erwerb der Zusatz-Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ wird ­beispielsweise mit einem Betrag in Höhe von 1.000 Euro gefördert. Weitere Informationen dazu unter:
www.arzt-sein-in-nordrhein.de/foerderung/substitutionsbehandlung
 
Ärztinnen und Ärzte, die Fragen zur substitutionsgestützten Behandlung haben, können sich an die Beratungskommission substitutionsgestützte Behandlung Opioidabhängiger der Ärztekammer Nordrhein wenden. Informationen und Kontakt unter: 
https://www.aekno.de/aerzte/beratung/beratungskommission-substitutionsgestuetzte-behandlung-opioidabhaengiger