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Große Last auf schmalen Schultern: Pflegende Kinder und Jugendliche

  • Professor Dr. Sabine Metzing, Oberhausener Ärztetag 2019
    Stellte die Studie zu pflegenden Kindern und Jugendlichen vor: Professor Dr. Sabine Metzing von der Uni Witten-Herdecke. © Andreas Köhring
  • Dr. Peter Kaup, Oberhausener Ärztetag 2019
    Führte durch die Veranstaltung: Dr. Peter Kaup, Vorsitzender Kreisstelle Oberhausen. © Andreas Köhring

Oberhausen, Düsseldorf, 11.11.2019. Etwa 96.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen pflegen Eltern mit chronischen körperlichen Erkrankungen. Diese Zahl nannte Professor Dr. Sabine Metzing von der Fakultät für Gesundheit der Uni Witten-Herdecke auf dem  inzwischen 9. Oberhausener Ärztetag, der am 9. November 2019 traditionell in der Medikon-Akademie stattfand. Vor 100 Ärztinnen und Ärzten stellte sie wesentliche Ergebnisse einer Studie ihrer Universität vor, für die in NRW an 44 Schulen eine repräsentative, standardisierte Befragung von mehr als 6.000 Schülerinnen und Schülern im Alter von zehn bis 22 Jahren durchgeführt wurde. Im Schnitt waren die Schülerinnen und Schüler, die Pflegeverantwortung übernahmen, 13,7 Jahre alt. In Nordrhein dürfte sich die Zahl bei etwa 50.000 Kindern und Jugendlichen bewegen. Die Prävalenz liegt laut Studie bei 6,1 vom Hundert.

Der Einsatz dieser jungen Menschen „reicht von gelegentlichen Hilfestellungen bis hin zur allein verantwortlichen Rund-um-die-Uhr-Betreuung“, so Metzing. In der Studie wurde die Situation der Kinder besonders betrachtet, die sogenannte körperbezogen Hilfe leisten. „Die Kinder helfen bei der Mobilisation, bei Körper- und Intimpflege, bei der Nahrungsaufnahme und der Ausscheidung, sie übernehmen medizinische Tätigkeiten, leisten emotionale Unterstützung und sorgen für die Sicherheit des pflegebedürftigen Angehörigen. Sie kümmern sich auch um den Haushalt und um jüngere Geschwister. Zudem sind sie immer in Bereitschaft, um schnell auf unvorhersehbare Krisen reagieren zu können.“

Dominiere die Pflege den Alltag der Kinder, so Metzing, drohten nachteilige emotionale, soziale, schulische und körperliche Auswirkungen für ihre gesamte Entwicklung. Schlafmangel als Folge von Sorgen und nächtlicher Bereitschaft führe zu Konzentrationsschwächen und nachlassenden Schulleistungen. Manche Kinder hätten kaum Zeit zu lernen. In Extremsituationen komme es zu Fehlzeiten, die sich über Wochen hinziehen können. Einige seien so stark in die Betreuung ihrer Angehörigen eingebunden, dass sie keine Zeit für sich selbst hätten, so Metzing. Kaum ein pflegendes Kind rede über die teils vielfältigen Tätigkeiten zu Hause; die meisten fürchteten sich vor Ausgrenzung und Stigmatisierung. Familien, in denen Kinder intensiv in die Pflege eingebunden seien, scheuten die Öffentlichkeit aus Angst davor, dass die Familie durch das Eingreifen zum Beispiel des Jugendamtes auseinander gerissen wird, so die Wissenschaftlerin.

Bei der Vorrecherche unter Kinderpsychiatern und -psychotherapeuten und weiteren Kolleginnen und Kollegen habe sich gezeigt, dass pflegende Kinder als Patienten praktisch unbekannt seien, erläuterte Dr. Peter Kaup, Allgemeinmediziner, Palliativarzt und Vorsitzender der Kreisstelle Oberhausen. „Zunächst haben wir uns gedacht: dann lassen wir das Thema sein. Dann haben wir noch einmal überlegt und uns gesagt: Kinder, die in einer solchen Situation sind, gehen wahrscheinlich kaum zum Kinderpsychiater oder suchen um Unterstützung nach.“ Auch eine Abfrage unter Psychiatern und Psychotherapeuten, die Erwachsene behandeln, habe keine Hinweise ergeben. „Doch auch dort waren keine Fälle bekannt. Aber genau deshalb haben wir uns gedacht, dass dies ein Thema wert ist“, sagte Kaup. In der Diskussionsrunde, die sich an den Vortrag und eine Podiumsdiskussion anschloss, zog eine Kinderpsychiaterin Parallelen zur Situation von Kindern und Jugendlichen mit suchtkranken Eltern. Auch in diesen Familien seien die Belastungen der Kinder und Jugendlichen hoch.

Weitere Themen des Oberhausener Ärztetags waren Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Ärzten infolge von Behandlungsfehlervorwürfen und die Deeskalation bei herausforderndem Verhalten von Patienten in der Arztpraxis oder der Notaufnahme.

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